Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)
Zehn Uhr. Halb elf. Zwölf.
Jetzt ist es jeden Moment so weit.
Wir warten.
hana
D
er Wagen ist da.« Meine Mutter legt mir eine Hand auf die Schulter. »Bist du so weit?«
Ich wage es nicht zu sprechen, daher nicke ich nur. Das Mädchen im Spiegel – mit den blonden hochgesteckten Haaren, den dunkel getuschten Wimpern, der makellosen Haut und den geschminkten Lippen – nickt ebenfalls.
»Ich bin sehr stolz auf dich«, sagt Mom mit gedämpfter Stimme. Leute eilen geschäftig ein und aus – Fotografen, Visagisten und Debbie, die Frisörin – und ich nehme an, es ist meiner Mutter unangenehm. Sie hat mir noch nie gesagt, dass sie stolz auf mich ist.
»Hier.« Mom hilft mir in einen weichen Baumwollmantel, damit mein langes, bauschiges Kleid, das an der Schulter mit einer goldenen Spange in Form eines Adlers geschlossen wird – dem Tier, mit dem Fred am häufigsten verglichen wird –, während der kurzen Fahrt zu den Labors nicht schmutzig wird.
Vor dem Tor hat sich eine Gruppe Journalisten versammelt und als ich auf die Veranda hinaustrete, erschrecke ich vom grellen Licht so vieler Kameras, die auf mich gerichtet sind, und dem maschinengewehrartigen Klick-klick-klick der Auslöser. Die Sonne schwebt am wolkenlosen Himmel wie ein einzelnes weißes Auge. Es muss kurz vor zwölf sein. Ich bin froh, als wir im Auto sitzen. Im Inneren ist es dunkel und kühl und ich weiß, dass mich hinter den getönten Scheiben niemand sehen kann.
»Ich kann es nicht glauben.« Meine Mutter spielt an ihren Armbändern herum. Sie ist aufgeregter, als ich sie je erlebt habe. »Ich habe wirklich gedacht, dieser Tag würde nie kommen. Ist das nicht dumm?«
»Dumm«, wiederhole ich. Als wir aus der Siedlung fahren, sehe ich, dass die Polizeipräsenz verdoppelt wurde. Die Hälfte der Straßen in die Innenstadt sind mit Straßensperren versehen und werden von Patrouillen aus Aufsehern, Polizei und sogar von einigen Männern mit den silbernen Abzeichen des Militärs überwacht. Als ich die geneigten weißen Dächer des Laborkomplexes erblicke – wo Fred und ich in einem der größten Hörsäle getraut werden, groß genug, dass tausend Zeugen darin Platz finden –, ist die Menschenmenge in den Straßen so dicht, dass Tony kaum mit dem Auto hindurchkommt.
Es scheint, als wäre ganz Portland auf den Beinen, um zu sehen, wie ich heirate. Die Leute strecken die Hände aus und klopfen auf die Motorhaube. Das soll Glück bringen. Hände trommeln aufs Dach und gegen die Fensterscheiben, und ich zucke zusammen. Polizisten drängen durch die Menge, treiben die Leute auseinander und versuchen eine Gasse für uns frei zu machen, wobei sie immer wieder sagen: »Lassen Sie den Wagen durch, lassen Sie den Wagen durch.«
Direkt vor dem Tor zum Labor hat die Polizei eine Reihe von Straßensperren errichtet. Mehrere Aufseher räumen sie beiseite, damit wir auf den kleinen gepflasterten Parkplatz direkt vor dem Haupteingang zum Labor fahren können. Ich erkenne das Auto von Freds Familie; er ist offenbar bereits da.
Mein Magen macht einen Satz. Seit meinem Eingriff war ich nicht mehr bei den Labors, seit ich sie als unglückliches, verkorkstes Mädchen voller Schuldgefühle, Schmerz und Wut betreten habe und als etwas anderes, reiner und nicht mehr so verwirrt, verlassen habe. An jenem Tag schnitten sie mir Lena raus und Steve Hilt und all diese verschwitzen dunklen Nächte, in denen ich unsicher und ängstlich war.
Aber das war eigentlich nur der Anfang des Heilungsprozesses. Dies hier, die Zuteilung eines Partners, die Hochzeit und Fred, sind der Abschluss.
Hinter uns wird das Tor wieder geschlossen und die Straßensperre aufgestellt. Als ich aus dem Auto steige, spüre ich, wie die Menge näher und immer näher rückt – wild darauf, hereinzukommen, zu beobachten, zuzusehen, wie ich mein Leben und meine Zukunft dem Pfad verschreibe, der für mich gewählt wurde. Aber die Zeremonie beginnt erst in einer Viertelstunde und bis dahin bleibt das Tor geschlossen.
Hinter den gläsernen Drehtüren sehe ich Fred, wie er mit verschränkten Armen und ohne zu lächeln auf mich wartet. Sein Gesicht wird vom grellen Licht und dem Glas verzerrt. Aus dieser Entfernung sieht es aus, als wäre seine Haut voller Löcher.
»Es ist so weit«, sagt meine Mutter.
»Ich weiß«, sage ich und betrete vor ihr das Gebäude.
lena
E
s ist so weit. In der Entfernung knallen gleichzeitig die Gewehrschüsse, mindestens ein Dutzend, und sofort setzen wir uns
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