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Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)

Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)

Titel: Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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scheint das zu spüren. Er legt mir eine Hand aufs Knie.
    »Dann ist es also beschlossene Sache. Morgen können wir …«
    Raven wird von Rufen unterbrochen, von plötzlichem Stimmengewirr. Wir stehen alle auf – eine instinktive Reaktion.
    »Was zum Teufel?« Tack hat das Gewehr angelegt und sucht die Bäume ab, die uns umgeben, eine verschlungene Wand aus Zweigen und Ranken. Der Wald ist wieder verstummt.
    »Psst.« Raven hebt eine Hand.
    Dann: »Ich brauche Hilfe hier draußen, Leute!« Und dann: »Scheiße.« Eine kollektive Erleichterung ist zu spüren, ein Aufatmen. Wir erkennen Sparrows Stimme. Er ist vorhin weggegangen, um im Wald sein Geschäft zu erledigen.
    »Wir kommen, Sparrow!«, ruft Pike. Ein paar von unserer Gruppe rennen zu den Bäumen und werden zu Schatten, sobald sie den kleinen Kreis aus Helligkeit, den das Feuer spendet, verlassen. Julian und ich bleiben, wo wir sind, und mir fällt auf, dass Alex auch bleibt. Man hört ein Durcheinander aus Stimmen und Anweisungen – »Ihre Beine, ihre Beine, nimm ihre Beine« – und dann tauchen Sparrow, Tack, Pike und Dani wieder auf der Lichtung auf, immer zwei von ihnen mit einem Körper beladen. Erst denke ich, dass sie jeweils ein Tier schleppen, das in eine Decke gewickelt ist, aber dann sehe ich einen bleichen Arm, der Richtung Erde baumelt und deutlich vom Feuer angestrahlt wird, und mir wird übel.
    Menschen.
    »Wasser, holt Wasser!«
    »Hol das Verbandszeug, Raven, sie blutet.«
    Einen Moment bin ich wie gelähmt. Als Tack und Pike die beiden Körper neben dem Feuer auf dem Boden ablegen, kann ich die Gesichter erkennen. Eines ist alt, dunkel und wettergegerbt; eine Frau, die einen Großteil oder sogar ihr ganzes Leben in der Wildnis verbracht hat. In ihren Mundwinkeln haben sich Spuckebläschen gesammelt und ihr Atem ist heiser und verschleimt.
    Das andere Gesicht ist unerwartet hübsch. Sie muss ungefähr in meinem Alter sein oder sogar noch etwas jünger. Ihre Haut ist mandelfarben und ihre langen dunkelbraunen Haare liegen ausgebreitet hinter ihr im Dreck. Einen Moment werde ich zu meiner eigenen Flucht in die Wildnis zurückkatapultiert. Raven und Tack müssen mich genau so gefunden haben – mehr tot als lebendig.
    Tack dreht sich um und sieht, wie ich das Mädchen anstarre.
    »Hilf mit, Lena«, sagt er scharf. Seine Stimme reißt mich aus meiner Trance. Ich knie mich neben ihn, neben die ältere Frau. Raven, Pike und Dani kümmern sich um das Mädchen. Julian steht hinter mir.
    »Was kann ich tun?«, fragt er.
    »Wir brauchen sauberes Wasser«, sagt Tack ohne aufzusehen. Er hat sein Messer gezückt und schneidet das Hemd der Frau auf. An einigen Stellen scheint es geradezu mit ihrer Haut verschmolzen zu sein – und dann sehe ich voller Entsetzen, dass sie schlimme Brandwunden am Unterkörper hat und ihre Beine mit offenen Wunden und Entzündungen übersät sind. Ich muss einen Moment die Augen schließen, damit mir nicht übel wird. Julian streicht mir einmal mit der Hand über die Schulter, dann geht er Wasser holen.
    »Scheiße«, murmelt Tack, als er eine weitere Wunde aufdeckt; diesmal einen langen, tiefen, ausgefransten Schnitt an ihrer Wade, der stark entzündet ist. »Scheiße.« Die Frau stößt ein gurgelndes Stöhnen aus und verstummt dann. »Bleib bei mir, komm«, sagt er. Er zieht seine Windjacke aus. Schweißtropfen glitzern auf seiner Stirn. Wir sind direkt neben dem Feuer, das die anderen höher schüren.
    »Ich brauche Verbandsmaterial.« Tack schnappt sich ein Handtuch und reißt es gekonnt und schnell in Streifen. Er bindet damit die Wunde ab. »Kann mir endlich jemand das verdammte Verbandsmaterial bringen?«
    Die Hitze ist wie eine Mauer neben uns. Der dunkle Rauch verhüllt den Himmel. Er schlängelt sich auch in meine Gedanken, verzerrt meine Wahrnehmungen, die zu Traumsequenzen werden: die Stimmen, die Bewegungen, die Hitze und der Geruch nach Körpern, alles zerstückelt und sinnlos.
    Ich weiß nicht, ob ich dort minuten- oder stundenlang knie. Irgendwann kommt Julian mit einem Eimer dampfendem Wasser zurück. Dann geht er wieder und kommt erneut zurück. Ich helfe dabei, die Wunden der Frau zu säubern, und irgendwann sehe ich ihren Körper nicht mehr als Haut und Fleisch, sondern als etwas Verdrehtes, Verzerrtes und Seltsames wie dunkle Stücke versteinerten Holzes.
    Tack sagt mir, was ich zu tun habe, und ich führe es aus. Noch mehr Wasser, kaltes diesmal. Ein sauberes Tuch. Ich stehe auf, bewege mich,

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