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Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)

Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)

Titel: Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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Kolben seines Gewehrs fest gegen die Holzlatten vor dem Fenster; sie geben unverzüglich nach und mehr Licht dringt in den Raum.
    Kein Wunder, dass es so stinkt – verdorbenes Essen ist aus einem umgekippten Kupfertopf gelaufen. Als ich einen Schritt nach vorn mache, huschen Insekten in die Ecken. Ich muss gegen eine Welle aus Übelkeit ankämpfen.
    »O Gott«, murmelt Julian.
    »Ich sehe mal oben nach«, sagt Tack in normaler Lautstärke, und ich fahre zusammen. Jemand knipst eine Taschenlampe an und der Lichtstrahl streicht über das Durcheinander auf dem Boden. Mir fällt ein, dass ich auch eine Taschenlampe habe, und ich krame in meinem Rucksack danach.
    Zusammen mit Julian gehe ich in die Küche, die Taschenlampe starr vor mich gerichtet, als könnte sie uns beschützen. Hier gibt es weitere Kampfspuren – ein paar zerschmetterte Glasgefäße, noch mehr Insekten und verdorbenes Essen. Ich halte mir den Ärmel vor die Nase und atme hindurch. Dann lasse ich den Lichtstrahl über die Regalbretter in der Vorratskammer schweifen. Sie sind noch ziemlich gut gefüllt; Gläser mit eingemachtem Gemüse und Fleisch stehen sorgfältig aufgereiht neben Päckchen mit luftgetrocknetem Fleisch. Die Gläser sind mit ordentlichen handgeschriebenen Etiketten versehen, die Aufschluss über ihren Inhalt geben. Ich verspüre ein plötzliches Schwindelgefühl, ein heftiges Schwanken, als ich mich an eine Frau mit feuerrotem Haar erinnere, die sich mit einem Stift über ein Glas beugt und lächelnd sagt: Wir haben kaum noch Papier. Bald müssen wir raten, was wo drin ist.
    »Sauber«, verkündet Tack. Wir hören ihn wieder die Treppe herunterpoltern und Julian zieht mich durch den kurzen Flur zurück in das größte Zimmer, wo die meisten anderen immer noch versammelt sind.
    »Schon wieder die Schmarotzer?«, fragt Gordo barsch.
    Tack fährt sich mit der Hand durch die Haare.
    »Sie haben nicht nach Essen oder Vorräten gesucht«, sage ich. »Die Vorratskammer ist noch ziemlich voll.«
    »Vielleicht waren es gar keine Schmarotzer«, gibt Bram zu bedenken. »Vielleicht ist die Familie einfach weggezogen.«
    »Wie bitte? Und haben vorher das Haus auseinandergenommen?« Tack stößt mit dem Zeh gegen eine Metalltasse. »Und ihr Essen zurückgelassen?«
    »Vielleicht hatten sie’s eilig«, beharrt Bram. Aber ich merke, dass er das selbst nicht glaubt; die Atmosphäre hier im Haus ist ranzig, irgendwie ungut. Dies ist ein Haus, in dem etwas sehr Schlimmes passiert ist, und das können wir alle spüren.
    Ich gehe zur offenen Tür und trete auf die Veranda hinaus, wo ich saubere Luft einatme, den Duft nach Weite und Pflanzen. Ich wünschte, wir wären nie hergekommen.
    Die Hälfte der Gruppe ist bereits wieder nach draußen gegangen. Dani wandert langsam durch den Garten und schiebt mit der Hand das Gras auseinander – was auch immer sie dort sucht –, als watete sie durch knietiefes Wasser. Hinterm Haus höre ich ein gebrülltes Gespräch; dann Ravens Stimme, die sich über den Lärm erhebt. »Zurück, zurück. Geh nicht da runter. Ich hab gesagt, du sollst da nicht runtergehen.«
    Mein Magen verkrampft sich. Sie hat etwas gefunden.
    Sie kommt atemlos um das Haus herum. Ihre Augen glänzen, glühen vor Wut.
    Aber sie sagt nichts weiter als: »Ich habe sie gefunden.« Sie muss nicht extra erwähnen, dass sie tot sind.
    »Wo?«, krächze ich.
    »Am Fuß des Hügels«, sagt sie kurz angebunden, dann geht sie an mir vorbei zurück ins Haus. Ich will nicht wieder nach drinnen, zu dem Gestank und der Dunkelheit und der dünnen Schicht Tod, die alles bedeckt – das ist es nämlich, dieses Ungute, diese bösartige Stille –, aber ich gehe trotzdem.
    »Was hast du gefunden?«, fragt Tack. Er steht immer noch mitten im Zimmer. Alle sind starr und ruhig im Halbkreis um ihn herum aufgereiht und einen Moment lang sehen sie aus wie Statuen, die von grauem Licht erfasst werden.
    »Hinweise auf ein Feuer«, sagt Raven und fügt dann etwas leiser hinzu: »Knochen.«
    »Ich hab’s gewusst.« Corals Stimme klingt hoch und leicht hysterisch. »Sie waren hier. Ich hab’s gewusst .«
    »Jetzt sind sie weg«, sagt Raven beruhigend. »Sie kommen nicht wieder.«
    »Es waren keine Schmarotzer.«
    Wir fahren alle herum. Alex steht in der Tür. Er hält etwas Rotes – ein Band oder einen Streifen Stoff – locker in der Faust zusammengeknüllt.
    »Ich hab dir doch gesagt, du sollst da nicht runtergehen«, sagt Raven. Sie funkelt ihn an – aber

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