Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)
Prüfungen hatte. Er hat sich aus Versehen ein bisschen Erde auf die Wange geschmiert und ich kichere.
»Was?« Er wirkt verärgert.
Jetzt, da ich angefangen habe zu lachen, kann ich nicht wieder aufhören. »Erde«, sage ich und strecke die Hand nach seiner Wange aus. »Du bist ganz voll davon.«
»Lena.« Er sagt es so vehement, dass ich schließlich verstumme. »Ich versuche dir gerade etwas zu sagen, okay?«
Einen Moment stehen wir schweigend da und sehen uns an. Die Wildnis ist ausnahmsweise mal vollkommen still. Es ist, als würden selbst die Bäume die Luft anhalten. Ich sehe mein Spiegelbild in Julians Augen – ein Schatten-Ich, nur Form, nichts Wesentliches. Ich frage mich, wie er mich sieht.
Julian holt tief Luft. Dann sagt er ganz schnell: »Ich liebe dich.«
Gerade, als ich herausplatze: »Sag es nicht.«
Es herrscht einen weiteren Herzschlag lang Schweigen. Julian sieht erschrocken aus. »Was?«, fragt er schließlich.
Ich wünschte, ich könnte die Worte zurücknehmen. Ich wünschte, ich könnte sagen: Ich liebe dich auch . Aber die Worte sind in meinem Brustkorb gefangen. »Julian, du bedeutest mir wirklich sehr viel.« Ich will ihn berühren, aber er zuckt zurück.
»Nicht«, sagt er. Er wendet den Blick ab. Das Schweigen zwischen uns dehnt sich aus. Der Himmel wird von Minute zu Minute dunkler. Die Luft ist von Grau durchzogen wie eine leicht verschmierte Kohlezeichnung.
»Es ist seinetwegen, oder?«, fragt er nach einer Weile und sieht mich wieder an. »Wegen Alex.«
Ich glaube, das ist das erste Mal, dass Julian seinen Namen ausspricht.
»Nein«, sage ich etwas zu heftig. »Es hat nichts mit ihm zu tun. Da ist nichts mehr zwischen uns.«
Er schüttelt den Kopf. Ich weiß, dass er mir nicht glaubt.
»Bitte«, sage ich. Ich strecke erneut die Hand nach ihm aus und diesmal lässt er zu, dass ich ihm übers Kinn streiche. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und gebe ihm einen Kuss. Er zuckt nicht zurück, aber erwidert meinen Kuss auch nicht. »Gib mir einfach ein bisschen Zeit.«
Schließlich sträubt er sich nicht länger. Ich nehme seine Arme und schlinge sie um mich. Er küsst mich auf die Nase, auf die Stirn, dann fährt er mit seinen Lippen bis zu meinem Ohr.
»Ich wusste nicht, dass es so sein würde«, flüstert er. Und dann: »Ich habe Angst.«
Ich spüre sein Herz durch die Schichten unserer Kleidung hindurch schlagen. Ich weiß nicht genau, worauf er sich bezieht – auf die Wildnis, die Flucht, darauf, mit mir zusammen zu sein, jemanden zu lieben –, aber ich drücke ihn fest an mich und lege meinen Kopf auf seine Brust.
»Ich weiß«, sage ich. »Ich habe auch Angst.«
Dann hallt Ravens Stimme aus der Ferne durch die dünne Luft. »Futter ist fertig! Essen fassen oder Mahlzeit auslassen!«
Ihre Stimme schreckt einen Schwarm Vögel auf. Sie steigen kreischend in den Himmel auf. Der Wind frischt auf und die Wildnis erwacht raschelnd, huschend und knarrend wieder zum Leben: ein stetiges Gemurmel.
»Komm«, sage ich und führe Julian zurück zum toten Haus.
hana
D
er Himmel zerbirst. Erst eine Explosion, dann noch eine; dann mehrere direkt nacheinander, das Geräusch schnellen Gewehrfeuers, Rauch und Licht und Farbsalven vor einem blassblauen Abendhimmel.
Alle applaudieren, als die letzte Runde des Feuerwerks über der Terrasse aufleuchtet. Es klingelt mir in den Ohren und der Rauchgeruch brennt in meiner Nase, aber ich klatsche ebenfalls.
Jetzt ist Fred offiziell der Bürgermeister von Portland.
»Hana!« Fred kommt lächelnd auf mich zu, während um ihn herum Kameras blitzen. Während des Feuerwerks, als alle auf die Terrasse des exklusiven Harbor-Golfklubs geströmt sind, wurden wir getrennt. Jetzt greift er nach meiner Hand.
»Herzlichen Glückwunsch«, sage ich. Noch mehr Kameras legen los – klick, klick, klick – wie eine weitere kleine Feuerwerkssalve. Bei jedem Blinzeln sehe ich Farben hinter meinen Augenlidern aufblitzen. »Ich freue mich so für dich.«
»Du freust dich für uns, meinst du«, sagt er. Seine Haare – die er so sorgfältig gegelt und gekämmt hat – sind im Laufe des Abends immer unbändiger geworden und nach vorne gewandert, so dass ihm eine Locke über das rechte Auge fällt. Ich verspüre einen Anfall von Freude. Dies ist mein Leben und mein Platz; hier, neben Fred Hargrove.
»Deine Haare«, flüstere ich. Er hebt automatisch eine Hand an die Stirn und streicht die Haare wieder glatt.
»Danke«, sagt er. Genau in diesem
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