Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)
Satz nach vorn und presse mich flach an den großen Stamm eines Zuckerahorns. Einen guten Meter von mir entfernt hat Alex ebenfalls hinter einem Baum Schutz gesucht. Alle paar Sekunden streckt er den Kopf um den Stamm herum, feuert ein paar Schüsse ab und bringt sich dann wieder in Sicherheit.
Meine Augen tränen. Ich recke vorsichtig den Hals um den Stamm und versuche die Gestalten zu unterscheiden, die als dunkle Silhouetten vor dem Feuerschein miteinander kämpfen. Aus der Entfernung wirken sie beinahe wie Tänzer – sich wiegende, ringende, sich neigende und drehende Paare.
Ich kann nicht erkennen, wer wer ist. Ich blinzele, huste, schirme die Augen mit der Handfläche ab.
Pike ist verschwunden.
Ich sehe kurz Danis Gesicht, als sie sich dem Feuer zuwendet. Ein Aufseher hat sie von hinten angesprungen, ihr einen Arm um den Hals geschlungen. Danis Augen treten hervor, ihr Gesicht ist lila angelaufen. Ich hebe mein Gewehr, dann senke ich es wieder. Es ist unmöglich, von hier aus zu zielen, so wie sie hin und her stolpern. Dani dreht und windet sich wie ein Stier, der seinen Reiter abschütteln will.
Eine neue Welle aus Schüssen. Der Aufseher löst seinen Arm um Danis Hals, packt seinen Ellbogen und schreit vor Schmerz auf. Er dreht sich zum Licht und ich sehe Blut zwischen seinen Fingern hindurchsickern. Ich habe keine Ahnung, wer geschossen hat, und ob die Kugel für Dani oder den Aufseher bestimmt war, aber die kurzzeitige Befreiung gibt Dani den Vorsprung, den sie braucht. Keuchend und würgend fummelt sie an ihrem Gürtel nach dem Messer. Sie ist offensichtlich erschöpft, bewegt sich aber mit der mechanischen Beharrlichkeit eines geschundenen Tiers.
Sie schwingt den Arm auf den Hals des Aufsehers zu; in ihrer Faust blitzt Metall auf. Nachdem sie zugestochen hat, zuckt er zusammen, krampft. Auf seinem Gesicht zeichnet sich Überraschung ab. Er fällt nach vorn auf die Knie, dann aufs Gesicht. Dani kniet sich neben ihn und zieht ihr Messer aus seinem Hals.
Irgendwo hinter der Wand aus Rauch kreischt eine Frau. Ich richte mein Gewehr hilflos von einer Seite des brennenden Lagers zur anderen, aber alles ist chaotisch und verraucht. Ich muss näher ran. Von hier aus kann ich niemandem helfen.
So geduckt wie möglich wage ich mich aus der Deckung und schleiche auf das Feuer und das Durcheinander aus Körpern zu, an Alex vorbei, der das Geschehen von seiner Position hinter einer Platane aus beobachtet.
»Lena!«, ruft er, als ich an ihm vorbeirenne. Ich antworte nicht. Ich muss mich konzentrieren. Die Luft ist heiß und stickig. Das Feuer breitet sich jetzt von Ast zu Ast aus, ist ein tödlicher Baldachin über uns; Flammen ranken sich um die Stämme und verbrennen sie kreideweiß. Der Himmel ist von Rauch verdunkelt. Das ist alles, was von unserem Lager übrig ist, von den Vorräten, die wir so sorgfältig gesammelt haben – der Kleidung, nach der wir gesucht, die wir im Fluss geschrubbt haben und trugen, bis sie zu Fetzen zerfiel; und den Zelten, die wir so sorgfältig ausgebessert haben, bis sie kreuz und quer von Stichen überzogen waren –, diese hungrige, alles verschlingende Hitze.
Fünf Meter von mir entfernt hat ein Mann von der Größe eines Felsbrockens Coral zu Boden gerungen. Ich laufe auf sie zu, als mich jemand von hinten anspringt. Im Fallen stoße ich den Kolben meines Gewehrs kräftig nach hinten. Der Mann flucht und weicht zehn Zentimeter zurück, so dass ich mich auf den Rücken drehen kann. Ich benutze mein Gewehr wie einen Baseballschläger und ziele damit auf seinen Kiefer. Es knackt abscheulich und der Mann kippt zur Seite.
In einem hatte Tack Recht: Die Aufseher sind auf diese Art Kampf nicht vorbereitet. Fast all ihre Kämpfe wurden aus der Luft geführt, aus dem Cockpit eines Kampfflugzeugs, aus der Entfernung.
Ich rappele mich auf und renne auf Coral zu, die immer noch am Boden liegt. Ich weiß nicht, was mit der Waffe des Aufsehers passiert ist, aber er hat die Hände um ihren Hals gelegt.
Ich hebe das Gewehr hoch über den Kopf. Corals Blick begegnet meinem kurz. Als ich dem Aufseher den Gewehrkolben gerade über den Kopf ziehen will, wirbelt er zu mir herum. Es gelingt mir, seine Schulter zu streifen, aber die Kraft meines Schlags hat mich aus dem Gleichgewicht gebracht. Ich stolpere und er schlägt mit einem Arm gegen meine Schienbeine und bringt mich zu Fall. Ich beiße mir auf die Lippe und schmecke Blut. Als ich mich auf den Rücken drehen will, lastet
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