Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)
plötzlich ein schweres Gewicht auf mir, zerdrückt mich, presst mir den Atem aus der Lunge. Das Gewehr wird mir aus der Hand gerissen. Ich bekomme keine Luft. Mein Gesicht wird in die Erde gedrückt. Etwas – ein Knie? ein Ellbogen? – bohrt sich in meinen Nacken.
Hinter meinen Augenlidern explodieren kleine Lichtblitze.
Dann höre ich ein Knacken und ein Grunzen und das Gewicht verschwindet. Ich drehe mich um, schnappe nach Luft, trete nach dem Aufseher. Er ist immer noch da, ist jetzt aber mit geschlossenen Augen zur Seite gesunken, von seiner Stirn tropft ein wenig Blut an der Stelle, wo er geschlagen wurde. Über mir steht Alex und umklammert sein Gewehr.
Er beugt sich vor und packt mich am Ellbogen, zieht mich hoch. Dann hebt er mein Gewehr auf und reicht es mir. Hinter ihm breitet sich das Feuer weiter aus. Die sich wiegenden Tänzer haben sich zerstreut. Jetzt sehe ich nichts weiter als eine riesige Flammenwand und verschiedene Umrisse, die zusammengesunken auf dem Boden liegen. Mir dreht sich der Magen um. Ich kann nicht erkennen, wer gefallen ist, ob das unsere Leute sind.
Neben uns hebt Gordo Coral hoch und legt sie sich über die Schulter. Sie stöhnt mit flackernden Augenlidern auf, kommt aber nicht zu sich.
»Los, kommt«, ruft Alex. Der Lärm des Feuers ist enorm: Es knackt und knistert wie ein schlürfendes, saugendes Monster.
Alex führt uns vom Feuer weg, mit seinem Gewehrkolben bahnt er einen Weg durch den Wald. Ich erkenne, dass wir auf einen Bach zugehen, den wir gestern entdeckt haben. Gordo hinter mir keucht laut und ich bin immer noch benommen und nicht sehr sicher auf den Beinen. Ich halte den Blick starr auf Alex’ Rücken gerichtet und denke an nichts anderes als daran, weiterzugehen, einen Fuß vor den anderen zu setzen, und so weit wie möglich vom Feuer wegzukommen.
»Kuu-iiee!«
Als wir uns dem Bach nähern, hallt Ravens Ruf durch den Wald. Rechts von uns durchschneidet eine Taschenlampe die Dunkelheit. Wir zwängen uns durch dichtes Gewirr aus abgestorbenen Pflanzen und stehen plötzlich auf einem sanften, steinigen Abhang, der von einem vorwitzigen flachen Bach durchzogen wird. Durch die Öffnung im Blätterdach über uns dringt Mondlicht ein. Es überzieht die Oberfläche des Baches silbern, lässt die blassen Kiesel am Ufer glänzen.
Unsere Gruppe kauert zusammengedrängt etwa dreißig Meter weiter am gegenüberliegenden Bachufer. Erleichterung macht sich in meiner Brust breit. Wir sind unversehrt; wir haben überlebt. Und Raven wird wissen, was wegen Julian und Tack zu tun ist. Sie wird wissen, wie wir sie finden können.
»Kuu-iiee!«, ruft Raven wieder und leuchtet mit der Taschenlampe in unsere Richtung.
»Wir sehen dich«, grunzt Gordo. Er überholt mich – seine Atmung ist inzwischen ein heiseres Keuchen – und watet durch den Bach auf die andere Seite.
Bevor wir auch rübergehen, dreht Alex sich um und kommt zwei Schritte zu mir zurück. Ich erschrecke, als ich sein wutverzerrtes Gesicht sehe.
»Was zum Teufel sollte das denn, bitte?«, fragt er. Als ich ihn nur anstarre, fährt er fort: »Du hättest sterben können, Lena. Wenn ich nicht da gewesen wäre, wärst du jetzt tot.«
»Ist das deine Art, einen Dank einzufordern?« Ich zittere, bin müde und verwirrt. »Du könntest auch einfach Bitte sagen, weißt du?«
»Ich mein’s ernst.« Alex schüttelt den Kopf. »Du hättest bleiben sollen, wo du warst. Du musstest dich nicht wie irgendeine Heldin da reinstürzen.«
Wut blitzt in mir auf. Ich halte sie fest und erwecke sie zum Leben. »Entschuldige bitte«, sage ich. »Wenn ich mich nicht da reingestürzt hätte, wäre deine neue … deine neue Geliebte jetzt tot.« Ich hatte in meinem Leben bisher wenig Gelegenheit dieses Wort zu benutzen, und es dauert einen Moment, bis es mir einfällt.
»Du bist nicht für sie verantwortlich«, sagt Alex gelassen.
Von seiner Antwort geht es mir schlechter statt besser. Trotz allem, was geschehen ist, bringt mich diese dämliche, grundlegende Tatsache fast zum Weinen: Er hat nicht geleugnet, dass sie seine Geliebte ist.
Ich schlucke den üblen Geschmack in meinem Mund herunter. »Nun, und du bist nicht für mich verantwortlich, weißt du noch? Du hast mir nicht zu sagen, was ich tun soll.« Ich habe meine Wut wiedergefunden. Jetzt habe ich sie fest gepackt, steige tiefer und tiefer in sie hinein. »Was kümmert es dich überhaupt. Du hasst mich doch sowieso.«
Alex starrt mich an. »Du kapierst es einfach
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