Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)
nicht, was?« Seine Stimme ist hart.
Ich verschränke die Arme und drücke sie fest, versuche den Schmerz zurückzudrängen, ihn weit hinter die Wut zurückzuschieben. » Was kapier ich nicht?«
»Vergiss es.« Alex fährt sich mit der Hand durch die Haare. »Vergiss, dass ich überhaupt etwas gesagt habe.«
»Lena!«
Ich drehe mich um. Tack und Julian sind gerade aus dem Wald auf der anderen Seite des Baches aufgetaucht und Julian kommt auf mich zugerannt, platscht durch das Wasser, ohne sich dessen bewusst zu sein. Er läuft direkt an Alex vorbei und nimmt mich in die Arme, hebt mich hoch. Ich schluchze einmal gedämpft in sein Hemd.
»Es geht dir gut«, flüstert er. Er hält mich so fest, dass ich kaum Luft bekomme. Aber das ist mir egal. Ich will ihn nie wieder loslassen.
»Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht«, sage ich. Jetzt, wo meine Wut auf Alex verraucht ist, kommt der Drang zu weinen wieder hoch und zerrt an meiner Kehle.
Ich weiß nicht, ob Julian mich versteht. Meine Stimme wird von seinem Hemd gedämpft. Aber er drückt mich noch mal fest, bevor er mich absetzt. Er streicht mir die Haare aus der Stirn.
»Als Tack und du nicht zurückgekommen seid … Ich dachte, euch wäre etwas passiert …«
»Wir haben beschlossen, ein Nachtlager aufzuschlagen.« Julian wirkt schuldbewusst, als wäre seine Abwesenheit irgendwie der Grund für den Angriff gewesen. »Tacks Taschenlampe ist kaputtgegangen und wir konnten einfach absolut nichts sehen, nachdem die Sonne untergegangen war. Wir hatten Angst, uns zu verlaufen. Wahrscheinlich waren wir noch nicht mal einen Kilometer von hier entfernt.« Er schüttelt den Kopf. »Als wir die Schüsse hörten, sind wir so schnell wie möglich gekommen.« Er legt seine Stirn an meine und fügt, etwas sanfter, hinzu: »Ich hatte solche Angst.«
»Mir geht’s gut«, sage ich. Ich habe die Arme um seine Taille geschlungen. Er ist so fest und stark. »Es waren Aufseher – sieben oder acht oder vielleicht sogar mehr. Aber wir haben sie verjagt.«
Julian tastet nach meiner Hand und verschränkt seine Finger mit meinen.
»Ich hätte bei dir bleiben sollen«, sagt er mit brüchiger Stimme.
Ich hebe seine Hand an meine Lippen. Diese einfache Tatsache – dass ich ihn einfach so ganz unbeschwert küssen kann – kommt mir plötzlich vor wie ein Wunder. Sie haben versucht uns zu vertreiben, uns in die Vergangenheit zu katapultieren. Aber wir sind immer noch hier.
Und wir werden täglich mehr.
»Komm«, sage ich. »Lass uns nachsehen, ob mit den anderen alles in Ordnung ist.«
Alex muss den Bach bereits überquert und sich wieder der Gruppe angeschlossen haben. Am Rand des Wassers bückt Julian sich und drückt mit einem Arm in meine Kniekehlen, so dass ich rückwärts in seine Arme kippe. Er hebt mich hoch und ich lege die Arme um seinen Hals und den Kopf an seine Brust. Sein Herzschlag ist ein gleichmäßiger, beruhigender Rhythmus. Er watet durch den Bach und setzt mich am anderen Ufer ab.
»Schön, dass ihr auch schon kommt«, sagt Raven gerade zu Tack, als Julian und ich in den Kreis treten. Aber ich kann die Erleichterung in ihrer Stimme hören. Obwohl Raven und Tack sich oft streiten, ist einer ohne den anderen undenkbar. Sie sind wie zwei Pflanzen, die miteinander verwachsen sind – sie schnüren und drücken sich ab, stützen sich aber auch gegenseitig.
»Und was machen wir jetzt?«, fragt Lu. Sie ist ein undeutlicher Umriss in der Dunkelheit. Die meisten Gesichter im Kreis sind dunkle Ovale, deren individuelle Züge von den kleinen Flecken aus Mondlicht zerteilt werden. Hier ist eine Nase zu sehen; dort ein Mund; ein Gewehrlauf.
»Wir gehen wie geplant nach Waterbury«, sagt Raven mit fester Stimme.
»Und wie, bitte?«, fragt Dani. »Wir haben nichts mehr. Kein Essen, keine Decken. Gar nichts.«
»Es hätte schlimmer kommen können«, sagt Raven. »Wir sind da rausgekommen, oder? Und wir können jetzt nicht mehr allzu weit entfernt sein.«
»Sind wir auch nicht«, meldet sich Tack zu Wort. »Julian und ich haben den Highway gefunden. Er liegt einen halben Tagesmarsch von hier. Wir sind zu weit nördlich, genau wie Pike gesagt hat.«
»Ich schätze, dafür können wir dir verzeihen, dass du uns beinahe umgebracht hast«, sagt Raven.
Pike hat zum ersten Mal in seinem Leben nichts zu erwidern.
Raven seufzt theatralisch. »Okay. Ich geb’s zu. Ich habe mich geirrt. Ist es das, was du hören willst?«
Immer noch keine Antwort.
»Pike?«,
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