Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)
gerichtet, nehme ich den Rucksack ab. »Du erinnerst dich vielleicht nicht an mich«, sage ich. »Ich war eine Freundin von Lena.« Ich stolpere leicht über den Namen und muss mich räuspern. »Ich tu dir nichts, okay?«
Der Rucksack trifft klirrend auf dem Bürgersteig auf, als ich ihn absetze, und ihr Blick huscht kurz dahin. Ich nehme das als gutes Zeichen und hocke mich hin, sehe sie immer noch an und bitte sie wortlos, nicht wegzulaufen. Langsam ziehe ich den Reißverschluss des Rucksacks auf.
Jetzt huschen ihre Augen zwischen der Tasche und mir hin und her. Ihre Schultern entspannen sich ein wenig.
»Ich habe euch ein paar Sachen mitgebracht«, sage ich, während ich langsam die Hand in den Rucksack stecke und hervorhole, was ich gestohlen habe: eine Packung Hafermehl, Grießbrei, zwei Schachteln Makkaroni mit Käsesoße, Dosensuppen, Gemüse und Thunfisch, eine Packung Kekse. Ich breite alles nacheinander auf dem Bürgersteig aus. Grace macht einen schnellen Schritt nach vorn und bleibt dann stehen.
Als Letztes hole ich die alte Milchflasche mit Benzin heraus. »Das ist auch für euch«, sage ich. »Für deine Familie.« Ich nehme eine Bewegung hinter einem Fenster im oberen Stock wahr und bin kurz beunruhigt. Aber es ist nur ein schmutziges Handtuch, das als Vorhang dient und im Wind flattert.
Plötzlich schießt Grace vor und reißt mir die Flasche aus der Hand.
»Pass auf«, sage ich. »Das ist Benzin. Es ist sehr gefährlich. Ich dachte, damit könntet ihr Sachen verbrennen«, beende ich den Satz lahm.
Grace erwidert nichts. Sie versucht all das Essen, das ich mitgebracht habe, auf den Arm zu nehmen. Als ich mich bücke, um ihr zu helfen, schnappt sie sich die Schachtel mit den Keksen und presst sie schützend an die Brust.
»Keine Angst«, sage ich. »Ich will dir nur helfen.«
Sie zieht die Nase kraus, lässt jedoch zu, dass ich ihr dabei helfe, das Dosengemüse und die Suppen einzusammeln und zu stapeln. Wir sind nur wenige Zentimeter voneinander entfernt, so dass ich ihren säuerlichen, hungrigen Atem riechen kann. Sie hat dreckige Fingernägel und Grasflecken auf den Knien. Ich war Grace noch nie so nah und stelle fest, dass ich in ihren Gesichtszügen nach Ähnlichkeiten mit Lena suche. Die Nase von Grace ist spitzer, wie Jennys, aber sie hat Lenas große braune Augen und ihre dunklen Haare.
Ich verspüre ein kurzes Etwas: ein Zusammenziehen in der Magengegend, einen Widerhall aus einer anderen Zeit, Gefühle, die inzwischen eigentlich alle zum Schweigen gebracht worden sein müssten. Das darf niemand wissen oder auch nur ahnen.
»Ich kann dir noch mehr bringen«, sage ich schnell zu Grace, als sie aufsteht, außer der Flasche mit Benzin einen schwankenden Berg aus Schachteln und Päckchen im Arm. »Ich komme wieder, aber ich kann immer nur wenig mitbringen.«
Sie steht einfach nur da und starrt mich mit Lenas Augen an.
»Wenn du nicht hier bist, hinterlege ich das Essen an einem sicheren Ort für dich. Irgendwo, wo es nicht … beschädigt wird.« Im letzten Moment verkneife ich mir, gestohlen zu sagen. »Kennst du ein gutes Versteck?«
Sie dreht sich unvermittelt um und rennt seitlich um das graue Haus herum, durch wucherndes Gras und hohes Unkraut. Ich weiß nicht genau, ob sie will, dass ich ihr folge, aber ich tue es einfach. Der Putz am Haus blättert ab, einer der Fensterläden im Obergeschoss hängt schief und klappert leise im Wind.
Hinter dem Haus wartet Grace neben einer großen Holzluke im Boden auf mich, die offensichtlich zu einem Keller führt. Sie legt die Lebensmittel vorsichtig im Gras ab, dann ergreift sie den verrosteten Metallgriff der Luke und hebt sie an. Unter der Klappe ist ein großes dunkles Loch und eine Holztreppe, die in einen kleinen verdreckten Raum hinunterführt. Er ist leer abgesehen von einigen verzogenen Holzregalen, in denen eine Taschenlampe, zwei Flaschen Wasser und ein paar Batterien liegen.
»Das ist perfekt«, sage ich. Einen Augenblick huscht ein Lächeln über Graces Gesicht.
Ich helfe ihr, die Lebensmittel in den Keller hinunterzutragen und in den Regalen zu verstauen. Die Flasche mit Benzin stelle ich an eine Wand. Die Schachtel mit Keksen hält sie allerdings die ganze Zeit an sich gepresst und weigert sich, sie loszulassen. In dem Raum stinkt es genau wie Graces Atem: säuerlich und erdig. Ich bin froh, als wir wieder ins Sonnenlicht hinaufklettern. Der Morgen hat ein beklemmendes Gefühl in mir hinterlassen, das nicht weichen
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