Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)
zwei Männer, die sich unterhalten, aus dem Wald. Sobald sie mich erblicken, zücken sie ihre Gewehre.
»Halt«, sagt meine Mutter mit scharfer Stimme und hebt eine Hand. »Sie gehört zu uns.«
Ich halte die Luft an. Als die Männer die Waffen senken, atme ich auf. Meine Mutter starrt mich weiter an – schweigend, erstaunt und noch irgendwie. Ängstlich?
»Wer bist du?«, fragt einer der Männer. Er hat leuchtend rote Haare, die von weißen Strähnen durchzogen sind. Er sieht aus wie eine riesige orangefarbene Katze. »Mit wem bist du hier?«
»Ich heiße Lena.« Seltsamerweise zittert meine Stimme nicht. Meine Mutter zuckt zusammen. Sie hat mich immer Magdalena genannt und hasste die Abkürzung. Ich frage mich, ob ihr das nach all dieser Zeit noch etwas ausmacht. »Ich bin mit einigen anderen aus Waterbury gekommen.«
Ich warte darauf, dass meine Mutter darauf hinweist, dass wir uns kennen – dass ich ihre Tochter bin –, aber das tut sie nicht. Sie wechselt einen Blick mit ihren beiden Begleitern. »Bist du mit Pippa zusammen?«, fragt der rothaarige Mann.
Ich schüttele den Kopf. »Pippa ist dort geblieben«, sage ich. »Sie hat uns angewiesen, hierherzukommen, zu diesem Versteck. Sie hat uns gesagt, Leute von der Widerstandsbewegung würden uns hier treffen.«
Der andere Mann, der braun gebrannt und drahtig ist, lacht auf und schultert sein Gewehr. »Sie stehen vor dir«, sagt er. »Ich bin Cap. Das ist Max« – er zeigt mit dem Daumen auf den orangefarbenen Katzenmann – »und das ist Bee.« Er weist mit dem Kopf auf meine Mutter.
Bee. Meine Mutter heißt Annabel. Diese Frau heißt Bee. Meine Mutter war immer in Bewegung. Meine Mutter hatte sanfte Hände, die nach Seife rochen, und ein Lächeln wie die ersten Sonnenstrahlen, die über einem gemähten Rasen aufgehen.
Ich weiß nicht, wer diese Frau ist.
»Bist du gerade auf dem Weg zum Versteck?«, fragt Cap.
»Ja«, bringe ich mühsam hervor.
»Wir kommen mit«, sagt er mit einer leichten Verbeugung, die angesichts unserer Umgebung mehr als ironisch wirkt. Ich spüre, dass meine Mutter mich wieder betrachtet, aber sobald ich sie ansehe, wendet sie den Blick ab.
Wir gehen schweigsam zurück, nur Max und Cap wechseln ein paar vereinzelte Worte, das meiste davon verschlüsselte Gesprächsfetzen, die ich nicht verstehe. Meine Mutter – Annabel, Bee – ist still. Als wir uns dem Versteck nähern, stelle ich fest, dass ich meine Schritte unbewusst verlangsame und den Weg ausdehnen will, dass ich meine Mutter dazu bringen will, etwas zu sagen, sich zu mir zu bekennen.
Aber viel zu bald haben wir die zusammengestückelte Konstruktion und die Treppe, die unter die Erde führt, erreicht.
Ich falle zurück, lasse Max und Cap vor mir die Treppe hinuntersteigen. Ich hoffe, dass meine Mutter den Wink versteht und auch zurückbleibt, aber sie geht einfach hinter Cap her nach unten.
»Danke«, sagt sie leise, als sie an mir vorbeigeht.
Danke.
Es gelingt mir noch nicht mal, wütend zu werden. Ich bin zu geschockt, zu benommen von ihrem plötzlichen Auftauchen, von diesem Trugbild einer Frau mit dem Gesicht meiner Mutter. Ich fühle mich ganz hohl, meine Hände und Füße kommen mir riesig vor, wie Ballons, als gehörten sie zu jemand anderem. Ich sehe, wie die Hände sich an der Wand entlangtasten, sehe, wie die Füße klong-klong-klong die Treppe hinuntergehen.
Einen Moment stehe ich verwirrt am Fuß der Treppe. Während ich draußen war, sind alle anderen zurückgekehrt. Tack und Hunter reden durcheinander und feuern wie wild Fragen ab; Julian erhebt sich bei meinem Anblick von dem Stuhl, auf dem er gesessen hat; Raven wuselt durchs Zimmer, organisiert, kommandiert Leute herum.
Und mitten drin meine Mutter – die ihren Rucksack absetzt, sich einen Stuhl nimmt, sich mit unbewusster Anmut bewegt. Alle anderen sind plötzlich ganz aufgeregt und aufgelöst, wie Motten, die eine Flamme umschwirren, ununterscheidbare Flecken vor dem Licht.
Sogar das Zimmer sieht jetzt, mit ihr darin, anders aus.
Das muss ein Traum sein. Das ist die einzige Erklärung. Ein Traum von meiner Mutter, die nicht wirklich meine Mutter ist, sondern jemand anders.
»Hey, Lena.« Julian nimmt mein Kinn in die Hand und beugt sich herunter, um mir einen Kuss zu geben. Seine Augen sind immer noch blau und geschwollen. Automatisch erwidere ich seinen Kuss. »Alles in Ordnung?« Er löst sich von mir und ich meide absichtlich seinen Blick.
»Mir geht’s gut«, sage ich.
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