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Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)

Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)

Titel: Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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das Einzige, das mich am Leben erhielt. Es war das Einzige, das mich bei Verstand bleiben ließ.« Ihre Stimme klingt scharf, hat einen wütenden Unterton, und ich muss an den Tag denken, als ich mit Alex in den Grüften war. An die erdrückende Dunkelheit und die hallenden unmenschlichen Schreie; den Gestank in Block sechs, die käfigartigen Zellen.
    Ich beharre stur: »Für mich war es auch schwer. Ich hatte niemanden. Und du hättest mich nach deiner Flucht holen kommen können. Du hättest mir Bescheid geben können …« Meine Stimme bricht und ich schlucke. »Als du mich in der Zuflucht gefunden hast – wir haben uns berührt, du hättest mir dein Gesicht zeigen können, du hättest etwas sagen können …«
    »Magdalena.« Meine Mutter streckt die Hand aus, um wieder mein Gesicht zu berühren, aber diesmal bemerkt sie, wie ich mich versteife und lässt die Hand seufzend wieder sinken. »Hast du je das Buch der Klagelieder gelesen? Hast du die Geschichte über Maria Magdalena und Joseph gelesen? Hast du dich je gefragt, warum ich dir diesen Namen gegeben habe?«
    »Ich habe es gelesen.« Ich habe das Buch der Klagelieder mindestens ein Dutzend Mal gelesen; es ist das Kapitel aus Das Buch Psst , das ich am besten kenne. Ich habe nach Hinweisen gesucht, geheimen Zeichen meiner Mutter, nach geflüsterten Worten der Toten.
    Das Buch der Klagelieder ist die Geschichte einer Liebe. Mehr als das: Es ist die Geschichte eines Opfers.
    »Ich wollte nur, dass du in Sicherheit bist«, sagt meine Mutter. »Verstehst du das? In Sicherheit und glücklich. Alles, was ich dafür tun konnte … selbst, wenn es bedeutete, dass ich nicht bei dir sein konnte …«
    Ihre Stimme klingt belegt und ich muss den Blick abwenden, damit der Kummer nicht wieder in mir aufsteigt. Meine Mutter ist in einem kleinen quadratischen Raum alt geworden, mit nichts als mühsam aufrechterhaltener Hoffnung, mit Tag für Tag in die Wände gekratzten Worten, um am Leben zu bleiben.
    »Wenn ich nicht geglaubt hätte, wenn ich nicht darauf vertraut hätte … Ich habe oft gedacht …« Sie bricht ab.
    Sie muss den Satz nicht beenden. Ich verstehe, was sie meint: Es gab Zeiten, in denen sie am liebsten gestorben wäre.
    Ich erinnere mich, dass ich mir manchmal vorgestellt habe, wie sie mit wehendem Mantel am Rand einer Klippe stand. Ich habe sie gesehen . Einen Moment hing sie immer schwebend in der Luft, wie ein Engel. Aber sogar in meinem Kopf verschwand die Klippe schließlich jedes Mal und ich sah sie fallen. Ich frage mich, ob sie sich in jenen Nächten irgendwie nach mir ausstreckte – ob ich sie spüren konnte.
    Eine Weile lang breitet sich Schweigen zwischen uns aus. Ich wische mir das feuchte Gesicht mit dem Ärmel ab, dann stehe ich auf. Sie erhebt sich ebenfalls. Wie neulich, als sie mich aus der Zuflucht gerettet hat, bin ich wieder erstaunt, dass wir ungefähr gleich groß sind.
    »Und jetzt?«, frage ich. »Gehst du wieder weg?«
    »Ich gehe dorthin, wo die Widerstandsbewegung mich braucht«, sagt sie.
    Ich wende den Blick ab. »Das heißt, du verschwindest wirklich wieder«, sage ich und spüre, wie sich ein dumpfes Gewicht in meinem Magen breitmacht. Natürlich. Das tun Menschen in einer ungeordneten Welt, einer Welt der Freiheit und der Wahlmöglichkeiten: Sie gehen, wenn sie wollen. Sie verschwinden, sie kehren zurück, sie gehen wieder weg. Und man selbst bleibt allein zurück und sammelt die Scherben ein.
    Eine freie Welt ist gleichzeitig eine zerbrechliche Welt, genau wie Das Buch Psst uns warnt. Zombieland hat mehr Wahrheit zu bieten, als ich wahrhaben wollte.
    Der Wind bläst meiner Mutter das Haar in die Stirn. Sie streicht es sich hinters Ohr zurück, eine Geste, an die ich mich von früher erinnere. »Ich muss dabei helfen, dass das, was mir passiert ist – das, was ich aufgeben musste –, niemand anderem mehr passiert.« Sie begegnet meinem Blick, zwingt mich, sie anzusehen. »Aber ich will nicht weg«, fügt sie leise hinzu. »Ich … ich möchte dich jetzt gerne kennenlernen, Magdalena.«
    Ich verschränke die Arme und zucke mit den Schultern, während ich versuche, etwas von der Härte in mir zu finden, die ich in meiner Zeit hier in der Wildnis aufgebaut habe. »Ich weiß gar nicht, wo wir anfangen sollen«, sage ich.
    Sie breitet die Hände aus, eine versöhnliche Geste. »Ich auch nicht. Aber ich glaube, wir können es schaffen. Ich kann es schaffen, wenn du mich lässt.« Sie lächelt ein wenig. »Du bist

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