Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)
der Sie dort abholt.«
Sie spult diese Rede schnell und tonlos ab. Ich angele einen Stift aus meiner Tasche und schreibe Eleanor Latterly an die vorgesehene Stelle. Dabei bete ich, dass sie nicht noch mal nach meinem Ausweis fragt. Das Besucherbuch ist ganz dünn, in der vergangenen Woche waren nur drei Besucher da.
Meine Hände zittern. Ich habe Schwierigkeiten, meine Jacke auszuziehen, nachdem mir der Wachmann gesagt hat, ich müsse sie auf das Förderband legen. Meine Handtasche und meine Schuhe kommen zur Untersuchung ebenfalls in Wannen und ich muss mich wie die Krankenschwester mit gespreizten Armen und Beinen aufstellen, während einer der Männer mich grob abtastet und mir mit dem Metalldetektor zwischen die Beine und über die Brüste fährt.
»Sauber«, sagt er und tritt beiseite, um mich vorbeizulassen. Direkt hinter der Sicherheitskontrolle befindet sich ein kleiner Wartebereich, der mit einigen billigen Plastikstühlen und einem Plastiktisch ausgestattet ist. Dahinter sehe ich mehrere abzweigende Flure und Schilder, die den Weg zu verschiedenen Blöcken und Bereichen des Komplexes weisen. In der Ecke läuft ein Fernseher ohne Ton, eine Politiksendung. Ich wende schnell den Blick ab, nur für den Fall, dass Fred auf dem Bildschirm erscheint.
Eine Krankenschwester mit schwarzen Haarbüscheln und einem glänzenden fettigen Gesicht kommt in blauen Krankenhausclogs und geblümter Schwesterntracht durch den Flur auf mich zugetappt. Auf ihrem Namensschild steht jane .
»Wollen Sie zu Block B?«, fragt sie mich schnaufend, als sie näher gekommen ist. Ich nicke. Ihr Parfüm riecht nach Vanille, unangenehm süßlich und zu intensiv, aber trotzdem kann es die anderen Gerüche hier nicht überdecken: Bleichmittel, Körpergerüche.
»Hier lang.« Sie trottet vor mir her zu einer schweren Doppeltür und schiebt sie mit der Hüfte auf.
Hinter der Tür verändert sich die Atmosphäre. Der Flur, den wir betreten, ist leuchtend weiß. Wir sind offenbar im neuen Flügel. Die Böden, Wände und sogar die Decke sind mit den gleichen makellosen Platten verkleidet. Es riecht auch anders – sauberer und neuer. Es ist ganz still, aber als wir den Flur entlanggehen, höre ich gelegentlich gedämpfte Stimmen, das Piepen technischer Geräte, das Tapp-tapp-tapp weiterer Schwesternclogs in einem anderen Flur.
»War’n Sie schon mal hier?«, keucht Jane. Ich schüttele den Kopf und sie wirft mir einen Blick aus dem Augenwinkel zu. »Hab ich mir gedacht. Wir kriegen hier nicht viele Besucher. Wozu auch, sage ich.«
»Ich habe gerade herausgefunden, dass meine Tante …«
Sie schneidet mir das Wort ab. »Ihre Tasche dürfen Sie nicht mit in den Block nehmen.« Schnauf, schnauf, schnauf . »Zur Not tut’s sogar eine Nagelfeile. Und wir müssen Ihnen ein paar Pantoffeln geben, mit diesen Schnürsenkeln kann ich Sie nicht in den Block lassen. Letztes Jahr hat sich einer unserer Jungs blitzschnell an einem Rohr aufgehängt, als er an ein paar Schnürsenkel kam. Als wir ihn gefunden haben, war er mausetot. Zu wem wollen Sie?«
Sie spricht so schnell, dass ich dem Gesprächsfaden kaum folgen kann. Ein Bild blitzt vor meinem inneren Auge auf: eine Gestalt, die mit verknoteten Schnürsenkeln um den Hals von der Decke baumelt. In meinen Gedanken schwingt die Person hin und her und dreht sich zu mir. Komischerweise ist es Fred, den ich mir vorstelle, mit einem riesigen aufgedunsenen und roten Gesicht.
»Ich möchte zu Melanea.« Ich merke, dass ihr der Name nichts sagt. »Nummer 2225«, füge ich hinzu.
Offensichtlich sind die Menschen in den Grüften nur unter ihren Nummern bekannt, denn die Schwester stößt ein Geräusch des Erkennens aus. »Sie wird Ihnen keine Probleme machen«, sagt sie verschwörerisch, als teilte sie ein großes Geheimnis mit mir. »Sie ist so still wie eine Kirchenmaus. Na ja, nicht immer. Ich kann mich noch an ihre ersten Monate hier erinnern, da schrie sie unentwegt: ›Ich gehöre nicht hierher! Ich bin nicht verrückt!‹« Die Schwester lacht. »Aber das sagen natürlich alle. Und dann hört man ihnen zu und sie kauen einem ein Ohr ab mit ihrem Gerede von kleinen grünen Männchen und Spinnen.«
»Sie … sie ist also verrückt?«, frage ich.
»Sonst wäre sie ja nicht hier, oder?«, entgegnet Jane. Sie erwartet offenbar keine Antwort. Wir haben eine weitere Doppeltür erreicht, an der ein Schild mit der Aufschrift block b: psychosen, neurosen, hysterie hängt.
»Nehmen Sie sich ein Paar
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