Requiem für eine Sängerin
auf der Hand, oder nicht? Sie ist garantiert mit dem anderen Mann weggelaufen – eine Flucht.» Plötzlich schaute sie besorgt drein. «Aber das glauben Sie nicht, oder?»
«Bei mir – uns – geht es nicht darum, was wir glauben, Mrs. Holt, wir arbeiten mit Fakten.» Warum hörte er sich immer so schwülstig an, wenn er log? Sie hatte doch Recht. Er glaubte, dass Deborah Fearnside etwas zugestoßen war, etwas Finsteres, das nichts mit Liebe zu tun hatte.
Auf dem Weg zu Jamie Smiths Rektor, im Auto, überkam Fenwick ein ihm fremdes Bedauern wegen der Begegnung mit Deirdre Holt. Er bedauerte, dass das geschehen war, er bedauerte seine Reaktion, aber am meisten bedauerte er, dass sie es nicht zu Ende gebracht hatten. Trotz ihrer leicht zu durchschauenden Verzweiflung hatte sie ein heftiges Verlangen in ihm geweckt. Als allein erziehender Vater von Mitte vierzig hatte er keine Ahnung, wie er damit umgehen sollte.
9
Als sie den Papierkram sortiert hatten, gingen sie in ein Pub eine halbe Meile von Fearnsides Haus entfernt und verglichen ihre Notizen. Cooper stützte sich mit einem Lederflicken-Ellbogen auf die Stuhllehne und trank einen kräftigen Schluck des besten Bitter. Fenwick drängte ihn nicht, obwohl er ungeduldig war.
«Die Leute im Dell reden nicht, und mit der Tochter der alten Dame konnte ich nicht sprechen; sie ist völlig außer sich. Aber in dem Wohnheim hatte ich mehr Glück. Ich habe mit drei Freundinnen von Mrs. Evans gesprochen. Als ich ihnen sagte, dass die alte Dame tot ist, konnten sie kaum an sich halten. Sie waren wütend, aber nicht auf die Polizei, sondern auf den Schwiegersohn; sie sagten, sie hätten ihr geraten, nicht wegzuziehen, hätten die Tochter angefleht, ihre Mutter in dem Wohnheim zu lassen. Eine sagte sogar, sie habe gewusst, dass der Umzug Mrs. Evans bei ihrem schlechten Gesundheitszustand umbringen würde. Eine der Frauen war so wütend, dass sie eine offizielle Aussage gemacht hat – sie war dabei, als zuerst Degs und dann die Tochter versucht haben, die alte Dame zum Umzug zu bewegen. Und der Arzt hat bestätigt, dass sie einen schweren Herzfehler hatte; er hatte ihr geraten, nicht umzuziehen. Er war sogar am Abend zuvor bei ihr, weil es ihr so schlecht ging, und hat ihr empfohlen, sofort nach Hause zurückzukehren. Aber der Schwiegersohn hat das nicht zugelassen.»
«Das klingt ja viel versprechend. Und was ist mit den Vorwürfen gegen Peters und Taylor?»
«Sieht so aus, als hätten die Idioten es auf dem Campingplatz ein wenig übertrieben. Aber wir haben ausreichend Beweise, um aufzuzeigen, dass sie den Platz stürmen mussten. Nur was das Eindringen in das Wohnmobil angeht, wird es etwas schwierig.»
«Wir brauchen mehr, Cooper, die Aussage von Degs’ Frau. Bitten Sie ihn zu einem Verhör ins Revier und schicken Sie eine Frau hin, die versuchen soll, mit der Tochter zu sprechen. Vielleicht ist sie noch aufgewühlt genug, um uns die Wahrheit zu sagen.»
«Ich werde Nightingale schicken, Sir. Sie werden sie nicht kennen; sie ist erst vor zwei Monaten hierher versetzt worden, aber ich habe nur Gutes über sie gehört. Was ist mit dem Assistant Chief Constable? Er wird weitere Informationen brauchen, nicht?»
Fenwick gab Cooper eine Notiz, die er eben gekritzelt hatte.
«Das hier bringt ihn auf den neuesten Stand. Lassen Sie es abtippen, ja? Mein Rat an ihn wird sein, der Presse gegenüber noch keinen Kommentar abzugeben. Wir wollen nicht, dass sie die Verwandten behelligen, sonst haben wir gar keine Chance mehr bei ihnen. Wir bringen es auf dem Weg zu Fearnside zum Abtippen und holen es später ab. Aber jetzt müssen wir los. Ich erzähle Ihnen unterwegs, was ich herausgefunden habe.»
Fenwick nahm seine Jacke und ging zur Tür. Cooper saß im kühlen Luftzug, als sie ins Schloss fiel. Am Morgen hatte er noch befürchtet, der vitale, scharfsinnige Boss von einst könnte für immer verschwunden sein. Jetzt stellte er fest, dass er bereits den Balanceakt zwischen widerstreitenden Prioritäten vollbringen musste, den Fenwick von jedem erwartete, der mit ihm arbeitete, und er fragte sich, ob er es nicht noch bedauern würde, dass Fenwick wieder zu dem besessenen Arbeitstier von früher geworden war.
Auf dem Weg zu Fearnside informierte Fenwick den Sergeant über die Gespräche mit Holt, Rektor O’Brien und Leslie Smith.
O’Brien, freundlich und hilfsbereit, hatte sogar seine Sekretärin hereingebeten, um seine Erinnerung an die Ereignisse zu untermauern
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