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Rescue me - Ganz nah am Abgrund

Rescue me - Ganz nah am Abgrund

Titel: Rescue me - Ganz nah am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Koch
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laut und gab mir einen leichten Schubs. „Du hast doch keine Angst vor einem sechsjährigen Mädchen, oder?“
    Maggie sah zu uns herüber und winkte. Brad winkte zurück. Noch einmal gab er mir einen aufmunternden Stoß mit dem Ellenbogen. „Vertrau mir. Geh hin und unterhalte dich mit ihr.“
    „Auf deine Verantwortung“, murmelte ich und stakste langsam über den Rasen. Gleichzeitig ließ ich das Nietenhalsband in meiner Hosentasche verschwinden, versteckte die Narbe hinter den Haaren und setzte mich zu der Kleinen. Natürlich achtete ich darauf, ihr die unversehrte Seite meines Gesichts zuzuwenden. Sie sah mich an und lächelte, dabei wurde eine riesige Zahnlücke sichtbar. Ich entspannte mich etwas, bis jetzt sah es nicht so aus, als würde sie sich vor mir fürchten.
    „Ich weiß, wer du bist“, lispelte Maggie und drückte mir eine Barbie mit ultralangen Haaren und eine pinkfarbene Plastikbürste in die Hand. „Die darfst du kämmen.“
    Ich gehorchte blindlings.
    Maggie sah mir einen Augenblick zu, ob ich auch ordentlich arbeitete, dann fuhr sie fort: „Du bist Tyler. Daddy hat mir von dir erzählt.“
    Ich zuckte kurz zusammen. Was das wohl gewesen sein mochte!
    „Was hat dein Dad dir denn erzählt?“, fragte ich, als sie mich erwartungsvoll ansah. Aus dem Haufen winziger Kleider, Schuhe und Haarschmuck fischte ich eine Spange und klemmte sie der Barbie in die Haare. Ich musste es richtig gemacht haben, denn Maggie protestierte nicht.
    „Du hattest einen schlimmen Unfall. Und du hast deswegen eine Narbe. In deinem Gesicht.“ Sie legte die Stirn in Falten und musterte mich genauer. „Zeigst du sie mir?“
    Ich zögerte. „Bist du sicher?“, fragte ich vorsichtshalber nach.
    „Ja.“ Maggie war sich sicher. „Zeig her.“
    Ich holte tief Luft und strich mir die Haare aus dem Gesicht, bereit, sofort aufzuspringen und zu verschwinden, wenn ich auch nur eine Spur von Grauen in ihren großen babyblauen Kulleraugen entdecken würde.
    Maggie nahm mich genauer unter die Lupe. Interessiert, ohne ein Zeichen von Angst oder gar Ekel betrachtete sie mein Gesicht. Das Piercing. Dann die schmale blassrosa Narbe, die sich von der rechten Stirnseite knapp an meinem Auge vorbei über die Wange schlängelte, und in einem Bogen bis hinab zum Kinn reichte. Über vierzig Stiche hatte der Chirurg machen müssen, um die aufklaffende Wunde verschließen zu können. Doktor Santiago war zufrieden gewesen. Es hatten sich keine Knoten oder Wülste gebildet. Ein gutes Ergebnis. Fand er. Doch ich hatte mich bis heute nicht an diesen Anblick gewöhnen können.
    Maggie hatte ihre Begutachtung abgeschlossen und nickte. „Ich hab’ auch eine.“ Sie krempelte ihr Söckchen herunter. „Da siehst du?“
    Sie deutete auf einen fein gezackten, blassen Strich auf ihrem gebräunten Schienbein. Alles in allem etwa zehn Zentimeter lang.
    „Ich bin vom Klettergerüst gefallen. Ich bin so hoch geklettert und ich habe mich nicht richtig festgehalten. Da war mein Bein gebrochen. Hat ganz schön wehgetan.“ Mit einer sorgfältigen Bewegung zog sie ihr Söckchen wieder zurecht. „Mary aus meiner Gruppe sagt, ich kann damit keine Prinzessin werden, weil die Narbe hässlich ist.“ Sie sah zu ihrem Vater hinüber. „Doch Daddy sagt, ich kann werden, was ich will. Auch mit dieser Narbe.“ Sie sprang auf. Dann stellte sie sich zu mir und legte eines ihrer kleinen Händchen auf meine Wange. Streichelte darüber, ganz sanft.
    „Meine Mommy ist auch im Himmel. So wie dein Daddy“, sagte sie ernsthaft. „Da passen sie auf uns auf!“ Damit lief sie hinüber zu Brad.
    Ich sah ihr leicht benommen nach, wie sie fröhlich über den Rasen davon hüpfte.
    Dieses Kind war unglaublich. So etwas hatte ich noch nicht erlebt. Völlig frei von Vorurteilen und Intoleranz akzeptierte sie mich so, wie ich war. Sie würde eine tolle Prinzessin abgeben.
    Ich zog eine Grimasse. Sie war genauso ein Sonnenscheinchen wie Ryan. Aus der Grimasse wurde ein verstohlenes Lächeln. Noch etwas hatten die beiden gemeinsam. Beide würden sich ab sofort einen Platz in meinem Herzen teilen.

 
Achtzehn
    Beim Essen saß er Tyler gegenüber. Hin und wieder warfen sie sich kurze Blicke zu. ‚Was sollte das?‘, schienen Tylers Augen zu fragen.
    ‚Warum hast du es getan?‘
    Wenn er darauf bloß eine Antwort parat hätte.
    Er wusste selber nicht, was ihn da geritten hatte. Schnell sah er wieder auf seinen Teller, aus Angst, Peg könne ihm ansehen, was er getan

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