Resilienz: Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burnout (German Edition)
Traurigkeit. Er wusste gar nicht so sehr warum. Es waren nicht die schrecklichen Schicksale der Menschen, es waren nicht die schmerzverzerrten Gesichter, es waren nicht die Geschichten der Witwen und Waisen, die er jetzt täglich in den Medien zu hören und zu sehen bekam und die er trotz seines lebensmutigen Einsatzes nicht zu verhindern gewusst hatte. Es war eine tiefe Traurigkeit, die aus ihm selbst kam. Sein Psychiater sagte, das sei eine Folge der schrecklichen Situationen, die Dick durchgemacht hatte. Aberauch der Arzt kam zu dem Schluss: Es war schlimm für seinen Patienten, und doch würde Dick es überstehen. Trotz der seelischen Wunden, die er erlitten hatte, wirkte der Mann selbstsicher und grundsätzlich mit sich im Reinen. Das waren gute Aussichten.
Zehn Jahre später ähnelt Dick tatsächlich wieder jenem Dick, den es vor dem Terroranschlag auf das World Trade Center gab. Vielleicht ist er ein wenig empfindlicher als früher; vielleicht hat er einen anderen Blick auf das Leben gewonnen. Manche Szenen, die er heute als Polizist bei seinen Einsätzen erlebt, erinnern ihn wieder an den 11. September und die Tage danach. Aber sie lösen nicht mehr diese Beklemmungen, diese Traurigkeit aus wie die Erinnerungen in den ersten Jahren nach dem Ereignis.
»Ich wusste, es geht vorbei«, erzählte Dick später selbstbewusst. Er hatte nie damit gerechnet, dass es ihn überhaupt je an der Seele packen würde; dass er jemals einen Psychiater aufsuchen würde – schon gar nicht wegen Dingen, die er in seinem Beruf erlebt. Aber auch wenn es ihn für kurze Zeit erwischt hat: Dick gilt durchaus als Beispiel einer resilienten Persönlichkeit, eines Kämpfertypen, der sich nicht unterkriegen lässt und nach einem Rückschlag die Ärmel hochkrempelt, statt in sich zusammenzusacken.
»Resilienz bedeutet nicht, dass man dauernd gut drauf ist«, betont Jens Asendorpf. Auch starke Seelen sind verletzlich. Je nach Situation leiden manche von ihnen stark unter dem Erlebten, andere hadern mit ihrem Schicksal. Wer widerstandsfähig ist, bleibt in Frust, Trauer oder Schrecken aber nicht gefangen; er steht bald wieder auf und wird auch nicht so leicht dauerhaft krank. Resiliente Menschen zerbrechen nicht an schweren Schicksalsschlägen; nach dem Tal der Tränen geht es für sie wieder bergauf.
Früher haben Wissenschaftler das anders gesehen. Sie haben geglaubt, resiliente Menschen seien komplett unverwundbar. Dieses Bild von den Unverletzlichen hat einer der ersten Forscher auf dem Gebiet der Resilienz geprägt, der amerikanische Psychologe Norman Garmezy. Er war so begeistert von seiner Entdeckung der starken Menschen, dass er sie wohl zusehr heroisierte. Andere Wissenschaftler folgten dieser Vorstellung. »Auch wir sind zunächst von der Unverletzbarkeit der Resilienten ausgegangen«, erzählt der Psychologe Friedrich Lösel. »Deshalb haben wir unsere Studie mit den Jugendlichen aus schwierigen Verhältnissen ursprünglich die Bielefelder Invulnerabilitätsstudie genannt.« Heute spricht Lösel lieber von der Bielefelder Resilienzstudie.
Denn in Fachkreisen erntete das Idealbild von den Unverletzlichen zunehmend Kritik. Die klinische Psychologin Froma Walsh aus Chicago lästerte schon 1998, dass das Konzept der Invulnerabilität wohl auf eine Traumvorstellung eines männlichen »Teflon-Ichs« zurückgehe und auf das amerikanische Ethos des Supermenschen. Auch ließ sich die Vorstellung auf Dauer nicht mit den Forschungsergebnissen in Einklang bringen. Sie zeigten mehr und mehr, dass auch resiliente Zeitgenossen Phasen des Zweifelns und der Verzweiflung durchleben.
»Unverwundbar oder immun gegenüber dem Schicksal ist kein Mensch«, betonte die inzwischen verstorbene Schweizer Psychotherapeutin Rosmarie Welter-Enderlin. »Unter Resilienz wird vielmehr die Fähigkeit von Menschen verstanden, Krisen im Lebenszyklus unter Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen zu meistern und als Anlass für Entwicklung zu nutzen.«
Resilient zu sein bedeute auch nicht, dass man unversehrt und völlig unverändert in seinen früheren Zustand zurückkehrt, ergänzt Froma Walsh. Es heißt vielmehr, dass man gegen ungünstige Bedingungen erfolgreich angeht, sich durch sie hindurchkämpft, aus den Widrigkeiten lernt und darüber hinaus versucht, diese Erfahrungen in das Gewebe seines Lebens zu integrieren. Man ist verwundbar, aber die Wunden heilen verhältnismäßig schnell und hinterlassen nicht allzu große Narben.
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