Resilienz: Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burnout (German Edition)
der Big Five gelten.
Aber auch die Big Five sind nicht für den Rest des Lebens in Stein gemeißelt. Neuere Forschungen bestätigen zunehmend einen schon länger gehegten Verdacht: Die Persönlichkeit des Menschen ist letztlich doch so variabel, dass sich selbst Senioren, wie ein Ebenezer Scrooge in Charles Dickens’ ›A Christmas Carol‹, noch ändern können. »Zumindest gibt es keinen Schlusspunkt, zu dem die Persönlichkeit fertig ist«, sagt der Entwicklungspsychologe Werner Greve.
Hinweise darauf gab vor einigen Jahren schon die Entdeckung, dass das Gehirn des Menschen keinesfalls so unbeweglich ist, wie Neurowissenschaftler lange dachten. Früher ging man davon aus, dass sich im Oberstübchen des Menschen keine neuen Verbindungen mehr ausbilden, sobald er erwachsen geworden ist. Doch diese Vorstellung ist längst nicht mehr zu halten. Bis ins hohe Alter bleibt die neuronale Plastizität erhalten, besagen neueste Forschungen. Das Gehirn bildet nicht nur Synapsen aus, wenn ihm nie zuvor Gehörtes oder Gesehenes geschieht. Es kann sogar ganzen Bereichen eine neue Aufgabe geben, wenn dies etwa infolge eines Unfalls nötig wird.
Wie schnell solche Umbauprozesse im Gehirn auch bei erwachsenen Menschen mitunter erfolgen, zeigte im Jahr 2006 eine Untersuchung von Bogdan Draganski und Arne May an der Universität Regensburg. Die Neurowissenschaftler blickten Medizinstudenten mehrmals im Kernspintomographen unterdie Schädeldecke, während diese sich in Vorbereitung auf ihre Examen Unmengen von Fachwissen ins Gehirn pressten. Binnen Monaten wuchs ihre graue Masse in der Großhirnrinde erheblich an.
Vermutlich sind auch biologische Prozesse im Gehirn nötig, wenn sich die Persönlichkeit verändert. Der Persönlichkeitspsychologe Jens Asendorpf gilt als deutsche Fachgröße für die Entwicklung des menschlichen Wesens. »Der Charakter eines Menschen stabilisiert sich etwa ab dem 30. Geburtstag«, sagt er. »Aber er ist erst ab dem 50. Geburtstag weitgehend geformt und auch danach noch veränderbar.« Asendorpf beruft sich dabei auf eine Studie der beiden US-Psychologen Brent Roberts und Wendy Del Vecchio. Sie hatten im Jahr 2000 mehr als 150 Studien mit insgesamt 35 000 Personen ausgewertet und waren dabei zu dem Schluss gekommen: Im Laufe des Lebens wandeln sich auch die Big Five. Drei Jahre später wurde dieses Ergebnis durch eine Studie mit 130 000 Teilnehmern bestätigt.
Dabei sind allerdings die verschiedenen Persönlichkeitsmerkmale unterschiedlich statisch: So scheinen Menschen mit zunehmendem Alter zuverlässiger und umgänglicher zu werden, dafür nimmt ihre Offenheit für neue Erfahrungen ab. Allein der Hang zum Neurotizismus, die psychische Labilität also, scheint über die Jahrzehnte sehr fest im Wesen eines Menschen verankert zu sein.
Ob diese Veränderungen der Persönlichkeit auf Einflüsse von Umwelt und Kultur zurückgehen – oder doch eher auf ein biologisches Reifungsprogramm? Die Big-Five-Pioniere Paul Costa und Robert McCrae glauben an Letzteres: »Vielleicht hat sich das in der Evolution so entwickelt, weil es das Aufziehen der nächsten Generation erleichtert.« Wer Kinder großziehen will, muss schließlich zuverlässiger und weniger egozentrisch agieren, als wenn er sich nur um sich selbst zu kümmern hat. Demnach stünde die Veränderung mancher der Big Five schlicht für eine Art des Erwachsenwerdens. Umwelteinflüsse auf die Big Five seien jedenfalls nie beobachtet worden, meinen Costa und McCrae. Dafür aber ähnliche charakterliche Alterstrends bei Affen.
Ausgerechnet Neurotizismus soll also die am wenigstenveränderliche Eigenschaft sein? Das klingt nicht gerade hoffnungsvoll für die Arbeit von Psychotherapeuten. Aber womöglich ändert sich an dieser Einschätzung noch etwas. Denn auch die Intelligenz, die in einem engen Zusammenhang mit dem Big-Five-Faktor Offenheit steht, wurde bisher immer als eine Eigenschaft angesehen, die einen Menschen ein Leben lang charakterisiert. Wissenschaftler glaubten, den Intelligenzquotienten in jedem Lebensalter messen zu können: Wenn ein Kind schon einen IQ von 140 schafft, dann würde es auch als Erwachsener noch etwa diesen Wert erreichen.
Doch diese Überzeugung ist gefallen. Zumindest in der Pubertät kann sich der IQ noch deutlich ändern, berichteten britische Neurowissenschaftler um Cathy Price erst 2011. Sie bestimmten den IQ von 33 Jugendlichen, als diese zwischen zwölf und 16 Jahre alt waren. Vier Jahre später wiederholten sie
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