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zu dir«, sagte Sascha.
»Hier wird gar nichts abgeblasen!«, rief Max.
»Ruhig, ruhig«, sagte ich. »Alternativ-Vorschlag: Kantstraße. Da ist jetzt bestimmt nicht mehr ganz so viel los wie hier.«
André schaute Max an.
»Ist Kantstraße okay?«
»Hauptsache, wir kriegen was zu lachen«, sagte Max, und er musste dabei kurz einen Brechreiz unterdrücken.
Auf dem Weg zum Bahnhof Zoo holten wir uns jeder noch eine Halb-Liter-Dose Schultheiß, und Max’ Laune besserte sich sichtlich, weil mittlerweile klar war, dass André das durchziehen würde, ich meine, auf dem Kudamm, das hätte bestimmt richtig Ärger gegeben: Polizei und Knast und BILD -Zeitung am nächsten Tag, ganz klar, aber Kantstraße, das geht in Ordnung, da laufen noch genug Menschen durch die Gegend, aber eben nicht so viele, und das mit der BILD -Zeitung, das würde André wohl auch erspart bleiben, also hoffentlich.
Als wir angekommen waren, atmete er einmal tief durch, trank sein letztes Bier auf ex und zog sich aus. Er behielt nur seine Socken und seine Schuhe an, dann bat er mich um meine Sonnenbrille und sagte »Wir sind nur einmal jung« oder so und ging los. Ganz langsam. Wir flanierten nebenher und grinsten. Das war mal ein richtiges Abenteuer, und ich musste plötzlich an die vier Kinder aus dem Film »Stand By Me« denken, wie sie da so über die Eisenbahnbrücke liefen. Zuerst fühlte sich André trotz seines Alkoholpegels nicht besonders wohl, aber nachdem eine Traube angeschickerter Sekretärinnen aus dem Theater des Westens beim Anblick des nackten Mannes zu schreien begannen, zu klatschen und »Zugabe!« zu rufen, da war André von nun an der Andrénator, cool und beinahe tänzelnden Schrittes, fast schwerelos glitt er über den Gehsteig, zündete sich eine Zigarette an, und auch wir genossen diesen kurzen Moment der Freiheit, zumindest so lange, bis eine Bullen-Wanne an uns vorbeifuhr und wir in den nächstgelegenen Busch hechteten. Ich meine: WIR WAREN WER ! – Genauso musste sich der Marlboro-Mann immer gefühlt haben, wenn er auf seinem Mustang durch die Weiten der Prärie ritt.
Natürlich wussten wir, dass auch uns eines Tages der Lungenkrebs einholen würde. Oder die Leberzirrhose.
»Ich hätte mich so was nicht getraut«, sagt Heiko und nippt an seinem Spezi.
»Wenn du immer nur alkfrei trinkst, dann wird das auch nichts«, stellt André überraschend einleuchtend fest.
Eigentlich sollten wir nicht am Tresen sitzen, sondern uns in einem mit weichem Gummi ausgeschlagenen Austobe-Trakt einer Alkoholentzugsklinik befinden. Ich und meine Jungs.
Ich bin wieder mal ziemlich voll, und es ist wieder mal erst Nachmittag, und meine Speiseröhre ist wieder mal bis Anschlag Oberkante gefüllt mit ätzendem Magensaft. Selbst wenn ich die beim Organspende-Julklapp verschenken wollte, würde der Empfänger sie ablehnen.
Ich hole mein iPhone aus dem Rucksack und gehe auf Facebook. Dort gebe ich »ööööü« in die Suchzeile ein. Leider findet Facebook nur eine Gruppe, deren Namen aus drei »Ö«s besteht. Verdammt! Wenn ich doch nur wüsste, wie der Typ vorhin hieß! Ein weiterer Türke würde mir zumindest einen coolen internationalen Anstrich verleihen. Der einzige Türke, mit dem ich bislang bei Facebook befreundet bin, ist mein Friseur Achmed. Ich weiß nicht viel über Achmed. Nur, dass er noch AZUBI ist (was er mir natürlich erst gesagt hat, nachdem er mir einen sehr seltsamen Topfschnitt verpasst hatte), dass er Haare in den Ohren grundsätzlich nicht mit der Maschine rausrasiert, sondern diese mit einem Feuerzeug abbrennt, und, ach ja, dass er schwul ist. Ganz sicher bin ich mir da zwar nicht, aber seine Kopfmassagen beim Haarewaschen sind sensitive Volltreffer. Fast besser als mein eigenes Gerät.
»Nehmen wir noch eine Runde?«, frage ich rhetorisch.
»Ich nicht«, sagt Heiko und stürzt sein Spezi runter. »Meine Freundin bringt mich um, wenn ich trinke. Ich muss jetzt auch los. Wir wollen noch was kochen.«
Ich würde Heiko gerne sagen, dass er die dumme Nutte doch zu Hause versauern lassen soll, und was er alles verpasst, weil er kein Single ist, aber ich möchte nicht schon wieder lügen und losheulen müssen.
Er legt genauestens abgezählte zwei Euro dreißig auf den Tresen und verabschiedet sich. Meine Jungs und ich nehmen noch eine Runde.
Warum ich mich in dunklen, siffigen Kneipen mit Menschen, die schon lange über ihr gesundheitliches Mindesthaltbarkeitsdatum hinaus sind, so wohl fühle, ist mir manchmal
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