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Resteklicken

Resteklicken

Titel: Resteklicken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meschner Moritz
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etwa über mich?«
    »Würd ich nie«, grinst Max. »Nur über deine Leiche.«
    »Von mir aus gehen wir woanders hin«, sage ich. »Aber was machen wir mit den Kostümen?«
    »Können wir doch auch morgen abgeben.«
    Ich trinke mein Bier aus und will gerade noch etwas sagen, als plötzlich eine versoffene Stimme durch den Bahn­hof hallt.
    »H EY, HÄSCHEN! DA SEID IHR JA WIEDER !«
    »Fuck, Mann, das sind die Punks!«
    »Lass uns abhauen«, sage ich.
    Vier Hasen sitzen auf einem Dach.
    Wir trinken Bier, rauchen und lassen uns die noch halb­wegs warme Oktobersonne auf den Pelz scheinen. Unter uns liegt die Stadt, und ich fühle mich unangenehm schwe­relos.
    Ich weiß nicht genau, ob meinen Jungs wirklich etwas an mir liegt, oder ob sie deshalb mit mir zusammen sind, weil sie genauso verpeilte Alkoholiker sind wie ich. Oder ein paar Möchtegern-Peter-Pans, die ihr Leben so lange tatenlos an sich vorbeiziehen lassen, bis die letzte Klappe in Form eines sehr billigen Sargdeckels gefallen ist.
    Ich bin jetzt einunddreißig Jahre alt und sitze auf dem Dach von Max’ Mietshaus, und ich sehe gemeinsam mit den anderen dabei zu, wie der Himmel sich langsam zartrosa färbt. Seit über zwanzig Minuten haben wir nichts mehr gesagt.
    Mein Bauch klingelt.
    Ich habe keine Lust nachzusehen, wer das ist, und lasse das iPhone einfach weiterfiepen.
    »Alter, geh ran oder schmeiß es weg!«, sagt Max nach ein paar Sekunden genervt.
    »Ist bestimmt Steffi, die dir zum Geburtstag gratulieren will.«
    »Leckt mich«, sage ich, hole das iPhone raus und erstarre.
    Sie ist es tatsächlich.
    Ihr Foto ist zumindest auf dem Display.
    Toll. Da ruft sie mich endlich an, und anstatt mich dar­über zu freuen, kriege ich Schnappatmung.
    »Was is nu?«, nölt Max. »Gehst du jetzt mal ran?!«
    »Ich kann nicht. Es ist wirklich Steffi.«
    Die drei schauen mich ungläubig an.
    »Was soll ich denn jetzt machen?«
    Binnen eines Wimpernschlags reißt Max mir das iPhone weg.
    »Das Leben ist ’ne Achterbahn«, sagt er todernst. »Und am langweiligsten ist es, wenn die Achterbahn bergauf fährt.«
    Dann nimmt er den Anruf an und drückt mir das iPhone wieder in die Hand.
    »Ich hasse dich so sehr«, flüstere ich und führe es langsam und wie unter Hypnose an mein Ohr.
    »Hey, ich bin’s.«
    Ihre Stimme lässt meinen Herzschlag für einen Moment aussetzen. Ein wundervolles Gefühl! Das bedeutet nämlich, dass ich tot bin. Leider holpert die alte Cholesterin-Pumpe gleich darauf wieder los.
    »Hey«, sage ich leise und so vorsichtig wie ein Grubenarbeiter, der in einer einsturzgefährdeten Mine festklemmt.
    Eine kurze, unangenehme Stille entsteht.
    »Ich …«, setze ich vollkommen ziellos an.
    »Ich wollte dir nur zum Geburtstag gratulieren«, fällt mir Steffi ins Wort.
    Wieder Stille.
    »Danke«, sage ich. »Das … nett.«
    Wow, das war ja beinahe ein kompletter Satz. Jetzt noch zwei, drei Wörter mehr, und du könntest dich fast unter­halten!
    »Wie geht’s dir?«, fragt sie.
    Eine Frage, für die ich irgendwie keine passende Antwort parat habe. Wir sind vier besoffene Hasen und sitzen auf dem Dach.
    »Ich …«
    »Feierst du auch schön?«
    Noch so eine Fangfrage.
    WIR SIND VIER BESOFFENE HASEN UND SITZEN AUF DEM DACH!
    »Na ja, ich …«
    »Ich würde dich gerne sehen.«
    Das Leben ist schon eine seltsame Sache.
    Gerade foltert es mich noch mit dem Gedanken daran, wie es wäre, das Dach nicht wieder über die Treppen, sondern auf dem direktesten aller Wege nach unten zu verlassen, und nur einen Augenblick später schmiert es meine geschundene Seele mit Blütenhonig ein.
    Ich bin mir sehr sicher, dass Steffi das auf keinen Fall gesagt haben kann, sondern dass der Satz »Ich würde dich gerne sehen« irgendwo in meinem Gehirn abgespeichert war, und der Klang ihrer Stimme eine Art Flashback ausgelöst und den Satz vom Hirn in mein Ohr befördert hat.
    »Moritz? … Bist du noch dran?«
    Moritz? Welcher Moritz? Der Moritz, den du meinst, hat soeben seinen Körper verlassen und schwebt ein bisschen neben sich rum.
    »Hallo?«
    »Ja, ich, äh …«
    »Was hältst du denn von morgen Abend? Wir könnten uns im ›Tropico‹ treffen. So um acht?«
    Ich schwebe zurück in meinen autistischen Körper, der im Moment wahrscheinlich zu allem Möglichen in der Lage wäre, zum Beispiel dazu, die Anzahl von versehentlich auf den Boden gefallenen Streichhölzern innerhalb einer Mikrosekunde genauestens zu bestimmen oder eine Zwölftonsymphonie fehlerfrei

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