Rette meine Seele - Vincent, R: Rette meine Seele
Tante Vals Opfer. „Oder aber der Besitzer tritt sie freiwillig ab. Aber dann muss sie ersetzt werden, um den Körper am Leben zu halten. Normalerweise wird dafür Dämonenatem verwendet.“
„Aber ich dachte, dass die Seele eines Menschen bestimmt, wann er lebt und wann er stirbt. Wenn Edens Seele weg war, woher wussten die Reaper dann, wann sie sterben muss?“
Harmony kaute mit vollem Mund, und ich nutzte die Zeit, um ein Riesenstück von meinem Brownie abzubeißen. Dann schluckte sie hinunter und schüttelte den Kopf. „Nicht die Seele gibt an, wie lange ein Mensch lebt. Es ist die Liste.“
„Und woher stammt die Liste? Wer entscheidet darüber, wann jemand stirbt?“Harmony zog anerkennend die Augenbrauen hoch. „Das ist eine gute Frage. Leider habe ich darauf keine Antwort. Aber vielleicht ist das auch ganz gut so …“
„Was meinst du damit?“, fragte ich misstrauisch und zerknüllte meine Serviette.
„Niemand weiß ganz genau, woher die Liste kommt. Zumindest niemand, den ich kenne.“ Nach kurzem Schweigen fuhr sie fort: „Vielleicht haben die Schicksalsgöttinnen Faden und Schere gegen Stift und Papier eingetauscht. Vielleicht stammt die Liste aus einem Drucker in einem geheimen Raum, den nie jemand zu sehen bekommt. Vielleicht schreibt Gott sie. Es muss einen Grund dafür geben, dass wir es nicht genau wissen. Und offen gestanden bin ich ganz froh darüber.“
„Ich auch.“ Was brachte es schon zu wissen, wer meinen Lebensweg vorausbestimmte; viel schlimmer konnte es ja kaum noch werden. Aber zumindest würde ich aller Wahrscheinlichkeit nach länger leben als ein Normalsterblicher.
„Wir wissen aber, dass es nicht ratsam ist, das Gleichgewicht von Leben und Tod zu stören. Für jeden Eintrag auf der Liste muss jemand sterben. Zum Glück gibt es ein wenig Spielraum für besondere Umstände.“ Harmony zögerte kurz, bevor sie mir fest in die Augen sah. „So hat deine Mutter ihr Leben gegen deines eintauschen können.“
Ich schluckte den letzten Rest des Brownies hinunter, meine Schuldgefühle gleich mit. Mir war vorbestimmt gewesen zu sterben, als ich drei gewesen war, aber meine Mutter war an meiner Stelle gegangen. Die Wahrheit war erst ans Licht gekommen, als ich erfahren hatte, dass ich eine Banshee bin; damit hatte die Lügerei ein Ende. Egal wie oft sie mir versicherten, dass es nicht meine Schuld war, Fakt blieb, dass meine Mutter noch leben würde, wenn ich nicht gewesen wäre.
Schuldgefühlen konnte man nicht entkommen. Oder doch? „Wenn ich daran denke, welches Opfer deine Mom für dich gebracht hat, verstehe ich nicht, wie Eden – oder irgendwer sonst – ihre Seele als Zahlungsmittel für etwas anderes missbrauchen konnte.“
Schulterzuckend warf ich meine zerknüllte Serviette auf den Teller. „Ich glaube nicht, dass sie gewusst hat, worauf sie sich einließ. Die Menschen verstehen doch nichts davon.“
„Das sollten sie aber, ehe sie den Vertrag unterschreiben. Das Hellion-Gesetz verlangt die volle Offenlegung der Vertragsbedingungen. Wer weiß, ob die dumme Kuh den Vertrag überhaupt gelesen hat. Was für eine Verschwendung.“ Sie schüttelte enttäuscht den Kopf und schob mir den Rest ihres Brownies herüber. „So viel Potenzial, einfach vergeudet! Hast du eine Ahnung, wofür?“
Ich konnte nur den Kopf schütteln. Mir war der Appetit vergangen. Meiner Vermutung nach hatte Eden ihre Seele für Ruhm und Reichtum verkauft, aber ich wusste es nicht mit Sicherheit. Alles, was ich wusste, war, dass sie diese Entscheidung jetzt sicher bereute; und wenn wir Addisons Seele nicht innerhalb der nächsten vier Tage zurückholen konnten, würde dasselbe Schicksal sie ereilen.
Und das würde ich auf gar keinen Fall zulassen.
6. KAPITEL
„Was hat es eigentlich mit dem falschen Namen auf sich, den Addison im Hotel angegeben hat? Will sie der Presse aus dem Weg gehen?“ Mit dieser Frage wollte ich mich davon ablenken, dass ich gerade den Begriff „Hellion“ in das Suchfeld meines Browsers eintippte.
Kaum hatte ich die Enter-Taste gedrückt, poppte eine unglaublich lange Trefferliste auf, die ich gar nicht so schnell überfliegen konnte, wie sie weiter anwuchs. Die Buchstaben verschwammen mir vor den Augen. In der Nacht zuvor hatte ich nicht besonders gut geschlafen, weil ich von toten Mädchen geträumt hatte, die in der Unterwelt gefoltert wurden. Und die letzten Energiereserven waren am Nachmittag beim Banshee-Unterricht draufgegangen.
„Wahrscheinlich.“
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