Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rette mich vor dir

Rette mich vor dir

Titel: Rette mich vor dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tahereh H. Mafi
Vom Netzwerk:
Gefühle anderer deutlich spüren zu können, und dachte nur, dass ich vielleicht eine etwas ausgeprägtere Wahrnehmung habe. Das war auch ein wichtiger Grund, weshalb mein Vater mir das Kommando über Sektor 45 anvertraut hat«, erklärt er. »Weil ich die Fähigkeit besitze, genau zu merken, ob jemand etwas verbirgt, sich schuldig fühlt oder – ganz entscheidend – lügt.« Er hält inne. »Ein weiterer Grund«, fährt er fort, »ist die Tatsache, dass ich imstande bin, ohne Skrupel zu handeln, falls die Situation es erfordert. Erst als Castle mir nahegelegt hat, dass es zu dieser Fähigkeit vielleicht eine andere Geschichte geben könnte, begann ich darüber nachzudenken. Und bin fast durchgedreht.« Er schüttelt den Kopf. »Ich habe fieberhaft nachgedacht und versucht seine Theorie entweder zu beweisen oder zu widerlegen. Trotz sorgfältigster Erwägungen konnte ich sie einfach nicht glauben. Und obwohl es mir – für dich, nicht für mich selbst – leidtut, dass Kenji vorhin dumm genug war, sich einzumischen, halte ich es doch für eine glückliche Fügung. Denn nun habe ich tatsächlich den Beweis. Dass ich mich geirrt habe. Und dass Castle Recht hat.«
    »Wie meinst du das?«
    »Ich habe deine Energie sozusagen übernommen«, antwortet er, »obwohl ich nicht wusste, dass ich das kann. Aber als wir vier verbunden waren, habe ich es ganz deutlich gespürt. Adam war unzugänglich – was übrigens auch die Erklärung dafür ist, dass ich ihn früher nie als Verräter im Verdacht hatte. Seine Gefühle waren immer verborgen, abgeschirmt. Ich war so naiv anzunehmen, dass er einfach eine dumpfe Persönlichkeit ohne lebendige Emotionen sei. Er hat mich ausgeschlossen, und ich habe mich täuschen lassen. Ich war so überzeugt von mir selbst, dass ich mir eine Schwachstelle in meinem System gar nicht vorstellen konnte.«
    Am liebsten hätte ich gesagt: Adams Fähigkeit ist also doch nicht so nutzlos, nicht wahr?
    Aber ich halte den Mund.
    »Und Kenji«, sagt Warner nach kurzem Schweigen. Reibt sich die Stirn. Lacht ein bisschen. »Kenji war … sehr klug. Viel klüger, als ich ihn eingeschätzt hatte – was, wie sich nun herausstellt, genau seine Taktik war. Kenji«, er schnaubt, »hat sich vorsätzlich dauernd als greifbare Bedrohung – im Gegensatz zu einer schleichenden – dargestellt. Er hat ständig für Stress gesorgt – verlangte bei den Mahlzeiten Extraportionen, fing Streit mit den anderen Soldaten an, hielt sich nicht an das Ausgangsverbot. Er verstieß immer wieder gegen Vorschriften, um auf sich aufmerksam zu machen. Damit ich ihn in erster Linie als nervenden Störfaktor und als nichts anderes betrachtete. Ich hatte immer das Gefühl, dass etwas mit ihm nicht stimmte, habe das aber auf sein Rowdy-Benehmen und seine Unfähigkeit im Umgang mit Regeln zurückgeführt«, erklärt er. »Ich hielt ihn für einen schlechten Soldaten. Für jemanden, den man niemals befördern würde. Der ziemlich unbrauchbar ist.« Er schüttelt den Kopf. Zieht die Augenbrauen hoch. »Brillant«, sagt er fast anerkennend. »Brillante Taktik. Sein einziger Fehler«, fügt Warner hinzu, »war seine zu offensichtliche Freundschaft mit Kent. Und dieser Fehler hat ihm dann auch beinahe das Leben gekostet.«
    »Und jetzt? Wolltest du ihn heute Abend endgültig erledigen?« Ich bin immer noch völlig verwirrt, versuche das alles zu begreifen. »Hast du ihn absichtlich verletzt?«
    »Nein.« Warner schüttelt den Kopf. »Ich wusste zuerst gar nicht, was ich eigentlich tat. Bislang hatte ich die Energie immer nur gespürt ; ich wusste nicht, dass ich sie auch übernehmen konnte. Aber mit deiner Energie kam ich direkt in Kontakt, indem ich dich berührte – es war alles so heftig, dass sie mir förmlich zuflog. Als Kenji mich am Arm packte«, sagt er, »waren wir noch verbunden, du und ich. Und ich … habe es irgendwie geschafft, deine Energie in seine Richtung zu lenken. Zufällig, aber ich spürte, als es passierte. Ich spürte, wie deine Kraft in mich strömte. Und wieder hinaus.« Er schaut auf. Sieht mich an. »Das war das Verrückteste, was ich jemals erlebt habe.«
    Wenn ich nicht schon am Boden säße, würde ich jetzt umfallen.
    »Du kannst also – die Kräfte anderer übernehmen?«, frage ich.
    »Scheint so.«
    »Und du bist sicher, dass du Kenji nicht absichtlich verletzt hast?«
    Warner lacht und sieht mich belustigt an. »Wenn ich die Absicht gehabt hätte, ihn zu töten, dann hätte ich das getan. Und ich hätte

Weitere Kostenlose Bücher