Rette mich vor dir
den Verteidigungsmodus schaltet, wenn ich ausraste?«
»So in etwa, ja.«
»Okay.« Ich überlege. »Und wie soll ich mich dann in diesen Zustand versetzen? Wie hast du das denn geschafft?«
Er zuckt die Achseln. »Nachdem ich verstanden hatte, dass ich kein Gespenst war und auch keine Wahnvorstellungen hatte, fand ich es echt cool. Ich war noch ein Kind, verstehst du? Es war aufregend für mich – als könnte ich mir einen Umhang umlegen und Schurken abmurksen oder so. Gefiel mir. Und dann fand ich den Zugang dazu, wann immer ich wollte. Aber«, fügt er hinzu, »erst als ich zu üben anfing, habe ich gelernt, wie ich den Zustand steuern und über lange Zeit aufrechterhalten konnte. Das war ziemlich viel Arbeit. Erfordert jede Menge Konzentration.«
»Ziemlich viel Arbeit.«
»Ja – ich meine, es ist eine Menge Arbeit, das alles herauszufinden. Aber nachdem ich es erst mal als Teil meiner selbst akzeptiert hatte, konnte ich auch besser damit umgehen.«
»Also«, sage ich und atme entnervt aus, »ich habe es schon akzeptiert, dass ich so bin. Aber das hat bislang gar nichts einfacher gemacht.«
Kenji lacht lauthals. »Den Teufel hast du. Gar nichts hast du akzeptiert.«
»Ich bin schon mein ganzes Leben lang so, Kenji – da kann ich doch wohl annehmen, dass ich es akzeptiert habe –«
»Nein«, fällt er mir ins Wort. » Nicht im Geringsten . Du hasst dich so, wie du bist. Du kannst es nicht ertragen. So was ist keine Akzeptanz. Sondern – ich weiß nicht – das pure Gegenteil.«
»Was willst du damit sagen? Dass ich es gut finden soll, so zu sein?« Ich lasse ihm keine Zeit zu antworten, sondern rede weiter. »Du hast doch keine Ahnung, wie es sich anfühlt, in meiner Haut, in meinem Körper gefangen zu sein – sich von jedem lebendigen Wesen fernhalten zu müssen. Wenn du das verstehen könntest, würdest du nicht von mir verlangen, dass ich auch noch glücklich darüber sein soll.«
»Komm schon, Juliette – ich versuche doch nur –«
»Nein, Kenji. Lass mich das klarstellen. Ich töte Menschen. Ich töte sie. Das ist meine ›besondere‹ Fähigkeit. Ich kann nicht unsichtbar werden oder mit dem Geist Dinge bewegen oder meine Arme besonders lang machen. Wenn du mich zu lange berührst, stirbst du. Versuch mal damit siebzehn Jahre lang zu leben. Danach kannst du mir dann erzählen, wie leicht es ist, sich selbst zu akzeptieren.«
Ich schmecke Bitterkeit in meinem Mund.
Das ist etwas Neues.
»Hör zu«, sagt Kenji. Seine Stimme klingt sanfter. »Ich urteile nicht, verstehst du? Ich versuche dir lediglich klarzumachen, dass du unbewusst das Verständnis deiner Fähigkeit behinderst, weil du sie ablehnst.« Er hebt die Hände, als wolle er sich ergeben. »Meine unbedeutende Meinung. Offenbar verfügst du über irre Kräfte. Du fasst jemanden an, und bumm, ist er erledigt. Und dann kannst du dich auch noch durch Wände pflügen und so was. Ich meine, das würde ich verdammt gern lernen, kann ich dir sagen. Das wär echt abgefahren.«
»Ja«, murmle ich. »Der Teil ist vielleicht gar nicht so übel.«
»Nicht wahr?« Kenji schaut mich aufmerksam an. »Das wär doch der Hammer. Und dann – wenn du deine Handschuhe anlässt – könntest du einfach alles Mögliche zertrümmern, ohne jemanden zu töten. Das wär doch auch nicht schlecht, oder?«
»Mag sein.«
»Na, siehst du. Super. Du musst dich nur entspannen.« Er springt auf. Greift wieder nach dem Ziegelstein. »Los«, sagt er. »Komm her.«
Ich gehe zu ihm und starre auf den roten Quader in seiner Hand. Er überreicht ihn mir so weihevoll, als sei er ein wertvolles Familienerbstück. »Jetzt«, sagt Kenji, »musst du dich entspannen. Dein Körper muss im Einklang mit sich selbst sein. Hör auf, deine Energien zu blockieren. Du hast vermutlich eine Million mentale Blockaden. Du darfst jetzt nicht mehr mauern.«
»Ich habe keine mentalen Blockaden –«
»Und ob.« Kenji schnaubt. »Haufenweise. Du leidest an schwerer mentaler Verstopfung.«
»Was –«
»Konzentriere deine Wut auf den Stein. Auf den Stein «, befiehlt Kenji. »Vergiss nicht. Offen sein. Du willst diesen Stein zertrümmern. Sag dir das. Du machst es freiwillig . Nicht für Castle, nicht für mich, nicht, um jemanden zu bekämpfen. Du hast einfach Lust darauf. Dir steht der Sinn danach. Überlass dich deinem Geist und deinem Körper. Verstanden?«
Ich atme tief ein. Nicke ein paar Mal. »Okay. Ich glaube, ich –«
» Hei-liger Strohsack.« Kenji pfeift durch die
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