Rette mich vor dir
funktionieren.
Jemand muss es Castle sagen.
Jemand muss ihm sagen, dass wir hier verschwinden sollten, dass Anderson vorerst außer Gefecht gesetzt ist, dass wir Warner als Geisel haben und zwei unserer Leute gerettet sind. Castle sollte unsere Leute wieder nach Omega Point zurückbringen, bevor Andersons Truppen auf die Idee kommen, irgendwelche Bomben zu zünden, die größere Zerstörung anrichten. Wir können hier nicht mehr lange durchhalten, und jetzt ist der ideale Moment, uns in Sicherheit zu bringen.
Ich sage das zu Kenji und Adam.
»Aber wie?«, schreit Kenji, um das Chaos zu übertönen. »Wie sollen wir zu Castle durchdringen? Wenn wir zu ihm rennen, sind wir tot. Wir bräuchten irgendeine Ablenkung –«
»Was?«, schreie ich zurück.
»Eine Ablenkung !«, brüllt er. »Irgendwas, womit wir die Soldaten lange genug verwirren können, um uns Castle zu greifen – viel Zeit haben wir nicht –«
Adam versucht, mich zu bremsen, mich abzuhalten von meinem Plan, fleht mich an, nicht zu tun, was ich wohl tun will, aber ich beruhige ihn. Sage ihm, dass er sich keine Sorgen zu machen braucht. Ich verspreche ihm, dass mir nichts zustoßen wird, aber er streckt die Hände nach mir aus, schaut mich flehentlich an, und ich gerate in Versuchung, nichts zu tun, bei ihm zu bleiben, doch dann gebe ich mir einen Ruck. Ich weiß nun endlich, was ich tun muss; ich bin endlich bereit zu helfen; ich glaube endlich, dass ich meine Kraft kontrollieren kann, und ich muss es versuchen.
Ich taumle rückwärts.
Schließe die Augen.
Lasse los.
Ich falle auf die Knie, presse die Handflächen auf die Erde, und die Kraft durchströmt mich, mischt sich in meinem Blut mit der Wut, der Leidenschaft, dem Lodern in mir, und ich denke daran, wie meine Eltern mich als Monster bezeichneten, als entsetzliche Missgeburt, und ich denke an all die Abende, an denen ich mich in den Schlaf weinte, und sehe all die Menschen, die mich gerne tot gewusst hätten, und dann rasen Bilder durch meinen Kopf wie bei einer Diashow: Männer, Frauen und Kinder, unschuldige Demonstranten, niedergemacht in den Straßen; Schüsse und Bomben, Brand und Zerstörung, so viel Leid Leid Leid, und ich will schreien, hinausschreien in die Atmosphäre, und ich wappne mich. Balle die Hand zur Faust. Ziehe den Arm zurück und
ich
zerschmettere
was noch übrig ist
von diesem Planeten.
40
Ich bin noch da.
Öffne die Augen, verwirrt, verwundert, dass ich nicht tot oder hirngeschädigt oder schwer verletzt bin. Doch ich kann die Wirklichkeit um mich herum klar erkennen.
Der Boden unter meinen Füßen rumpelt und bebt und wird grollend lebendig. Ich bin auf die Knie gesunken, presse immer noch die Faust in die Erde, wage nicht aufzuhören. Schaue auf. Sehe, wie die Soldaten innehalten, panisch um sich blicken, ins Schwanken geraten. Wie der Asphalt unter ihren Füßen krachend zerbirst, als knirsche die Erde mit den Zähnen und gähne laut, als erwache sie, um Zeuge der Schmach zu sein, die wir Menschen über sie gebracht haben.
Und sie stöhnt und ächzt, entsetzt und bitter enttäuscht, als sie die Gewalt wahrnimmt, die Ungerechtigkeit, die Machtgier, die vor nichts und niemandem Halt macht und sich nährt am Blut der Schwachen, an den Schreien der Wehrlosen.
Adam rennt los.
Rast zwischen den Soldaten hindurch, die verwirrt herumstehen, reißt Castle zu Boden, um ihn vor einer verirrten Kugel zu retten, schreit den anderen Befehle zu, zieht Castle wieder hoch, und unsere Leute laufen los.
Die feindlichen Soldaten stolpern durcheinander, stürzen zu Boden, und ich frage mich gerade, wie lange ich noch durchhalten muss, als ich Kenji »Juliette!« rufen höre.
Ich fahre herum, höre ihn schreien, dass ich Schluss machen soll.
Ich lasse die Erde los.
Schlagartig kommt alles zur Ruhe, ist alles wieder an Ort und Stelle, und ich weiß einen Moment lang nicht mehr, wie die Welt aussieht, wenn sie nicht bebt und zerbricht.
Kenji zieht mich hoch, und wir rennen los, als Letzte unserer Gruppe, und er ruft mir zu, ob ich okay sei, und ich wundere mich, dass er Warner immer noch tragen kann. Kenji muss viel kräftiger sein, als er aussieht, und ich denke plötzlich, dass ich manchmal zu ungeduldig mit ihm bin und ihn nicht genügend schätze. Mir wird bewusst, dass er eigentlich einer meiner Lieblingsmenschen auf diesem Planeten ist, und ich bin so froh, dass er unversehrt ist.
So froh, dass er mein Freund ist.
Ich halte seine Hand fest, und er zieht mich zu
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