Rette mich vor dir
tatsächlich ein Monster bin – würde ich das nicht spüren?
Dann wäre ich doch wütend und gemein und rachsüchtig. Ich wäre vertraut mit blinder Wut und Mordlust und würde mich rechtfertigen.
Doch ich fühle nur einen Abgrund in mir, der so tief und dunkel ist, dass ich nicht hineinblicken kann; ich kann nicht erkennen, was sich darin verbirgt. Ich weiß nicht, was ich bin und was mit mir geschehen wird.
Ich weiß nicht, ob ich es erneut tun werde.
38
Eine Explosion.
Splitterndes Glas.
Jemand reißt mich zurück, als ich den Abzug drücke, und die Kugel trifft ein Fenster.
Jemand dreht mich ruckartig um.
Kenji schüttelt mich, schüttelt mich so heftig, dass mein Kopf hin und her fliegt, und brüllt mich an, schreit, dass wir gehen müssen, dass ich die Pistole fallen lassen soll, keucht: »Wir müssen hier weg, Juliette, hörst du? Juliette? Verstehst du mich? Du musst die Pistole loslassen. Alles wird gut – es wird alles gut, Juliette, du musst nur –«
»Nein, Kenji –« Ich wehre mich, stemme die Füße fest auf den Boden, weil er mich nicht versteht. Er muss mich verstehen. »Ich muss ihn töten. Ich muss dafür sorgen, dass er tot ist«, sage ich. »Gib mir nur noch eine Sekunde –«
»Nein«, versetzt Kenji, »noch nicht, nicht jetzt«, und er schaut mich an, als bräche ihm das Herz, als hätte er etwas in meinen Augen gesehen, das er niemals sehen wollte. »Das geht nicht. Wir können ihn jetzt noch nicht töten. Es ist zu früh dafür, okay?«
Aber es ist überhaupt nicht okay, und ich verstehe gar nichts, aber Kenji packt meine Hand, löst meine Finger von der Pistole. Ich hatte nicht gemerkt, wie fest ich den Griff umklammert hielt. Ich blinzle wie wild, verwirrt und enttäuscht. Blicke an mir herunter. Auf meine Hände. Meinen Anzug. Kann nicht verstehen, wo das Blut herkommt.
Ich schaue auf Anderson.
Seine Augen sind verdreht. Kenji prüft seinen Puls. Schaut zu mir, sagt: »Er ist bewusstlos, glaube ich.« Und ich beginne so heftig zu zittern, dass ich mich kaum mehr auf den Beinen halten kann.
Was habe ich getan .
Ich weiche zurück, brauche eine Wand zum Anlehnen, etwas, das mich stützt, und Kenji kommt rasch zu mir, umfasst mich mit einem Arm, hält meinen Kopf mit dem anderen, und ich habe das Gefühl, als würde ich weinen wollen, aber es geht nicht. Ich kann nichts tun, außer dieses Beben zu ertragen, das meinen ganzen Körper erschüttert.
»Wir müssen los«, sagt Kenji und streicht mir über die Haare, eine für ihn ungewöhnlich zärtliche Geste. Ich schließe die Augen, lehne mich an seine Schulter, will Kraft ziehen aus seiner Wärme. »Meinst du, du kannst gehen?«, fragt er. »Das muss jetzt sein. Wir müssen auch rennen.«
»Warner«, keuche ich plötzlich, reiße mich los und blicke wild um mich. »Wo ist –«
Auch er ist bewusstlos.
Liegt am Boden. Die Hände hinter dem Rücken gefesselt. Eine leere Kanüle neben ihm auf dem Teppichboden.
»Um den habe ich mich gekümmert«, sagt Kenji.
Alles bricht schlagartig über mich herein. Die Gründe, warum wir hier sind, was wir erreichen wollten, was ich getan habe und was ich tun wollte. »Kenji«, keuche ich, »wo ist Adam? Was ist passiert? Wo sind die Geiseln? Wie geht es den anderen?«
»Adam geht’s gut«, sagt er beruhigend. »Wir sind durch die Hintertür ins Haus und haben Ian und Emory gefunden.« Er schaut zu der Küchentür. »Sie sind in ziemlich schlechtem Zustand, aber Adam schleppt sie raus und versucht sie wach zu kriegen.«
»Und Brendan? U-und Winston?«
Kenji schüttelt den Kopf. »Wissen wir noch nicht. Aber ich habe das Gefühl, dass wir sie wiederkriegen werden.«
»Wie?«
Kenji weist mit dem Kopf auf Warner. »Wir werden den Burschen da als Geisel nehmen.«
» Was ?«
»Die beste Lösung«, sagt Kenji. »Noch ein Austausch. Aber diesmal ein echter. Wird kein Problem sein. Dem goldhaarigen Knäblein hier muss man ja nur seine Waffen abnehmen, dann ist er völlig harmlos.« Er geht zu Warner hinüber. Stupst ihn mit dem Fuß an, nimmt ihn dann hoch und legt ihn sich über die Schulter. Warners Armschlinge ist komplett blutdurchtränkt.
»Komm schon«, sagt Kenji ruhig und betrachtet mich prüfend, um einzuschätzen, was er mir zumuten kann. »Wir müssen hier weg – da draußen tobt der Irrsinn, und wir haben nicht mehr viel Zeit, bis sie in diese Straße kommen –«
»Was?« Ich starre ihn an. »Was meinst du –«
Kenji sieht mich verständnislos an. »Der Krieg ,
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