Rette mich
Anfang, und nichts von dem, was auf uns zukommt, wird einfach sein.« Er seufzte, ein müder Laut. »Du wirst dich an diesen Traum nicht erinnern, und du wirst nicht hierher zurückkommen. Ich weiß nicht, wie du mich gefunden hast, aber ich muss dafür sorgen, dass es nicht noch einmal vorkommt. Ich werde deine Erinnerung an diesen Traum auslöschen. Um deiner Sicherheit willen ist dies das letzte Mal, dass du mich siehst.«
Schrecken durchfuhr mich. Ich löste mich von ihm, wich vor seinem Gesicht zurück und vor der Bestimmtheit, die ich darin sah. Ich öffnete den Mund, um zu widersprechen …
Und der Traum fiel um mich zusammen, als wäre er aus Sand.
Fünf
A m nächsten Morgen wachte ich mit einem steifen Nacken und einer entfernten Erinnerung an merkwürdige, farblose Träume auf. Nach dem Duschen zog ich mir ein zebragestreiftes Hemdblusenkleid an, Leggings und knöchelhohe Stiefeletten. Wenn auch schon nicht tief in mir, so schien ich doch zumindest von außen normal. Das Chaos in mir zu ordnen war ein größeres Vorhaben, als ich in einer Dreiviertelstunde hätte angehen können.
Ich flitzte in die Küche, wo ich Mom vorfand, wie sie in einem Topf auf dem Herd altmodischen Haferbrei kochte. Soweit ich mich erinnern konnte, war es das erste Mal seit dem Tod meines Vaters, dass sie ihn selber kochte. Nach dem Drama von letzter Nacht fragte ich mich, ob sie es nur machte, weil ich ihr leidtat.
»Du bist ja früh wach«, sagte sie und hörte damit auf, neben dem Spülbecken Erdbeeren in Scheiben zu schneiden.
»Es ist nach acht«, gab ich zurück. »Hat Detective Basso angerufen?« Ich versuchte, so zu tun, als wäre es mir egal, wie ihre Antwort ausfiel, und beschäftigte mich damit, nicht existierende Flusen von meinem Kleid zu bürsten.
»Ich habe ihm gesagt, es wäre ein Irrtum gewesen. Er hat es verstanden.«
Das bedeutete, sie waren sich einig, dass ich halluziniert hatte. Ich war das Mädchen, das falschen Alarm schlug. Und von jetzt an würde alles, was ich sagte, als Übertreibung abgetan. Das arme Kind. Nickt einfach und muntert sie auf.
»Warum gehst du nicht zurück ins Bett, und ich bringe dir das Frühstück hoch, wenn es fertig ist?«, schlug Mom vor und fing wieder an zu schneiden.
»Mir geht es gut. Ich bin schon aufgestanden.«
»Nach allem, was geschehen ist, bin ich der Meinung, dass du es ruhig angehen lassen solltest. Lange schlafen, ein gutes Buch lesen, vielleicht ein schönes, langes Schaumbad.«
Ich konnte mich nicht erinnern, dass Mom jemals vorgeschlagen hatte, dass ich es an einem Schultag ruhig angehen lassen sollte. Unsere typische Frühstücksunterhaltung bestand gewöhnlich aus: Hast du deinen Aufsatz fertig? Hast du dein Essen eingepackt? Ist dein Bett gemacht? Kannst du auf dem Schulweg die Stromrechnung bezahlen gehen?
»Was hältst du davon?«, versuchte Mom es wieder. »Frühstück im Bett. Etwas Besseres gibt es nicht.«
»Und was ist mit der Schule?«
»Die Schule kann warten.«
»Bis wann?«
»Ich weiß nicht«, sagte sie leichthin. »Eine Woche, nehme ich an. Oder zwei. Bis du dich wieder normal fühlst.«
Sie hatte das Ganze eindeutig nicht überdacht, aber ich hatte dafür nur ein paar kurze Sekunden gebraucht. Ich hätte mich von ihrer Nachsicht in Versuchung führen lassen können, aber darum ging es nicht. »Ist gut zu wissen, dass ich ein oder zwei Wochen habe, bis alles wieder normal ist.«
Sie legte das Messer hin. »Nora …«
»Macht ja nichts, dass ich mich an nichts erinnern kann, was in den letzten fünf Monaten passiert ist. Macht ja nichts, dass ich mich von jetzt an jedes Mal, wenn mich jemand in einer Menschenmenge ansieht, frage, ob er es ist. Noch besser, mein Gedächtnisverlust war überall in den Nachrichten, er muss sich darüber kaputtlachen. Er weiß, dass ich ihn nicht identifizieren kann. Und ich nehme an, dass ich mich damit trösten sollte, dass, weil all die Tests, die Dr. Howlett gemacht hat, normal, vollkommen normal ausgefallen sind, mit mir in diesen Wochen wahrscheinlich nichts Schlimmes angestellt wurde. Vielleicht kann ich mir sogar einreden, dass ich in Cancun in der Sonne gelegen habe. Hey, das wäre doch möglich! Vielleicht wollte mein Entführer sich von der Masse abheben. Das Unerwartete tun und sein Opfer verwöhnen. Die Wahrheit ist, es kann Jahre dauern, bis alles wieder normal wird. Vielleicht wird es nie wieder normal. Aber ganz sicher wird es nicht normal, wenn ich hier herumsitze, Seifenopern gucke
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