Rettende Engel (German Edition)
geschlagen, immer wieder …“ Er schluckte, setzte an, mehr zu sagen, doch er brachte kein Wort hervor. Kraftlos ließ er sich auf seinen Stuhl zurücksinken und wandte das Gesicht ab.
Im Nebenraum verlief das Gespräch ruhiger. Hans Neumann sagte gerade: „Der Ralf ist im Grunde in Ordnung. Verbittert eben – aber das kann man ihm wirklich nicht verdenken.“
„Ist sein Kind gestorben?“, fragte Chris.
„Nein, das wäre fast weniger schlimm. Sein Sohn ist schwerstbehindert. Und es gibt keine Hoffnung, dass es jemals besser wird.“
Inzwischen hatte sich Bongard wieder gefangen. „Damals habe ich mir geschworen, dass ich alles tun werde, um zu verhindern, dass einem anderen Kind dasselbe passiert. Alles.“ Er sah Kaha herausfordernd an. „Und wo gehobelt wird, da fallen Späne.“
Im selben Moment erklärte Hans Neumann Chris: „Ich bin wirklich traurig über den Tod meiner Tochter. Aber für unsere Enkelkinder war es vermutlich das Beste.“
Kaha atmete tief durch. Er musste das Gespräch endlich in produktive Bahnen lenken. „Was mit Ihrem Sohn passiert ist, tut mir sehr leid”, sagte er zu Ralf Bongard. „Wirklich. Aber wenn Sie einen Mord begehen – oder begangen haben –, dann muss ich Ihnen sagen: Damit kommen Sie nicht durch.“
Doch leider, oder zum Glück, hatte Bongard offenbar ein Alibi – und Hans Neumann auch. Die beiden hatten bis spät in die Nacht, so halb zwei, zwei Uhr, die Aktion vorbereitet, Rund-Mails an die Mitglieder der „Rettenden Engel” und an Sympathisanten geschickt, Flugblätter entworfen und ausgedruckt und so weiter und so fort.
Das alles geschah in Bongards Wohnung, wo sich auch das Büro der „Rettenden Engel“ befand. Hans Neumann hatte dort auch übernachtet, weil es spät geworden war.
„Super, sie geben sich gegenseitig ein Alibi”, fasste Chris resigniert zusammen, als Kaha und er sich später an ihren Schreibtischen gegenübersaßen.
Unsicher schaute er seinen Kollegen an. Dann gab er sich einen Ruck. „Kaha, auch wenn ich dir damit auf die Nerven falle. Willst du nicht mal darüber reden, was passiert ist?”
Kahas gerade noch entspannter Gesichtsausdruck verhärtete sich.
Schnell sprach Chris weiter: „Ich verstehe, dass der Junge dich an deine eigene wilde Jugend erinnert hat. Trotzdem.” Müde rieb er sich mit dem Handrücken das rechte Auge.
Dann sah er Kaha ratlos an. „Wenn es dich tröstet: Das ist der Lauf der Welt. Manchen können wir helfen und manchen leider nicht.”
Kaha schwieg.
21
Kaha musste unwillkürlich lächeln, als Tim im Garten des Kinderheims strahlend auf ihn zulief. Wie die anderen Kinder hatte er draußen in der warmen Herbstsonne gespielt, als er Kaha entdeckte, der mit Sandra auf dem Weg stehen geblieben war, um die Kinder zu beobachten.
Doch dann stolperte Tim über seine eigenen Füße und schlug der Länge nach hin. Wie ein Blitz war Miriam bei ihrem Bruder und half ihm auf. Er begann, laut zu weinen, wohl mehr aus Schreck, denn auf dem weichen Rasen konnte er sich kaum verletzt haben. Schützend nahm Miriam ihn in den Arm.
Susanne Schneider, die Erzieherin, die Kaha schon vom letzten Besuch kannte, überzeugte sich mit einem Blick, dass alles in Ordnung war, nickte Kaha und Sandra zu und wandte sich dann einer Gruppe von Kindern zu, die auf dem Spielplatz seitlich vom Haus in Streit geraten waren.
„Irgendwie schön”, flüsterte Kaha Sandra zu, „dass Geschwister schon früh lernen, sich um andere zu kümmern.” Er selbst war ein Einzelkind und hatte sich immer einen Bruder gewünscht.
„Das finde ich überhaupt nicht”, zischte Sandra. Kaha sah sie erschrocken an, doch das bemerkte sie nicht. „Ich finde es schlimm, dass Miriam sich mit gerade einmal fünf Jahren für ihren Bruder verantwortlich fühlen muss.”
Kaha schwieg verdutzt. „Kommt mal her, ihr beiden”, sagte er zu Miriam und Tim, als er sich gefangen hatte. Er ging auf die beiden zu und hielt die Einkaufstüte hoch. „Ich habe euch was mitgebracht. Wollen wir mal nach drinnen gehen und schauen, was es ist?”
Sofort verstummte Tim und seine Tränen versiegten. Er lief zu Kaha, nahm seine Hand und zog ihn hinter sich her ins Haus.
Miriam taute nicht so schnell auf. Sie schaute Kaha mit einem undurchdringlichen Blick an und folgte ihm aber gemeinsam mit Sandra in das Spielzimmer.
Dort setzte sie sich sofort an den Tisch, der mit Zeichnungen bedeckt war, und nahm einen blauen Stift in die
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