Retter eines Planeten - 16
balancierte auf einer Baumwurzel. Sie legte die Hände trichterförmig an den Mund und schrie: „Wasserfälle!“
Ich zog mich zu ihr hinauf und sah in die enge Schlucht hinunter. Unser Pfad führte geradewegs durch den reißenden, brüllenden Bergfluß mit seinen Wasserfällen. Es war ein großartiges Bild. Wer sich aber in diese herrliche Hölle wagte, wurde innerhalb von Sekunden etliche hundert Meter tief hinuntergerissen.
Rafe kletterte zu uns herauf, hielt sich an der Baumwurzel fest, auf der Kyla stand, und beugte sich so weit hinunter, daß er aus einer winzigen, ruhigen Mulde eine Handvoll Wasser schöpfen konnte. „Pfui! Das ist eiskalt! Es muß direkt vom Gletscher kommen.“
Das stimmte, denn ich erinnerte mich vage an diese Stelle unseres Pfades. Nun kam auch Kendricks herauf und musterte nachdenklich die Schlucht. „Wie kommen wir da hinüber?“ fragte er.
„Ich weiß noch nicht recht“, erwiderte ich und musterte den schäumenden Sturzbach. Über uns, ungefähr sechs oder sieben Meter über der Stelle, auf der wir standen, hingen dicke Äste einiger riesigen Bäume über die Wasserfälle. Die Wurzeln lagen bloß und waren knorrig ineinander verfilzt. Zwischen den Bäumen schwang eine der seltsamen Seilbrücken der Waldmänner und führte etwa drei Meter über dem Wasser auf die andere Seite der Schlucht. Selbst ich hatte es niemals gelernt, mich auf diesen Seilbrücken ohne Hilfe zu bewegen, denn menschliche Arme sind für die dafür nötigen Armschwünge ganz einfach zu schwach. Früher hätte es mir vielleicht gelingen können, aber jetzt kam ein Versuch nicht mehr in Frage — höchstens bei unmittelbarer Lebensgefahr. Rafe oder Lerrys hätten es, da sie sehr schlank und zierlich waren, als turnerische Übung probieren können, keinesfalls aber über dieser Schlucht, wo ein Fall unbedingt tödlich wäre. Die Seilbrücke der Waldmänner kam also nicht in Frage. Was dann?
Ich wandte mich an Kendricks, dem ich am ehesten mein Leben anvertraut hätte. „Die Schlucht sieht zwar so aus, als sei sie nicht zu schaffen, aber ich glaube, zwei Männer, die sicher auf ihren Beinen stehen, könnten trotzdem hinüberkommen“, sagte ich, musterte aber dabei jeden Stein und jede Baumwurzel. „Die anderen könnten uns an die Seile nehmen und festhalten, falls uns das Wasser umreißt. Kommen wir auf die andere Seite hinüber, können wir von der Felsnase aus“ — ich deutete hinauf — „ein Seil spannen, an dem sich die anderen herüberhanteln können. Riskieren müssen nur die beiden ersten etwas. Willst du’s versuchen?“
Mir war es recht angenehm, daß er nicht sofort antwortete, sondern zum Rand der Schlucht ging und hinunterschaute. Sicher, wenn wir dort hinuntergerissen wurden, konnten uns die anderen sieben wieder heraufziehen, aber die Felsen würden uns wohl schlimm zurichten. Aber jetzt bemerkte ich wieder jenen Schatten einer Bewegung im Buschwerk. Wenn die Waldmänner den Augenblick wählten, wo wir eben über den Wasserfällen waren, dann war unsere Lage nahezu grotesk heikel.
„Ein Spannseil können wir auch leichter hinüberbringen“, meinte Hjalmar und nahm ein Reserveseil aus seinem Rucksack. Er wickelte es etwa so auf wie ein Cowboy sein Lasso, nahm am Felsrand über der Schlucht Aufstellung und warf es zur Felsnase hinüber, die wir ausgewählt hatten. „Wenn ich die Schlinge dort hinüberkriege…“
Sie fiel zu kurz. Hjalmar holte das Seil ein und warf erneut. Beim fünften Wurf hielten wir den Atem an, denn die Schlinge hing über der Nase. Vorsichtig zog er das Seil straff. Der Knoten zog sich zu. Hjalmar grinste breit und atmete geräuschvoll aus.
„Das wär’s“, sagte er und zog versuchsweise kräftig an. Die Felsnase brach ab und stürzte in die Schlucht hinunter. Der Ruck hätte Hjalmar beinahe aus dem Gleichgewicht gerissen. Entgeistert starrte er dem Block nach, der mit dem Seil von einem Felsabsatz zum anderen polterte.
Hjalmar fluchte entsetzlich, wie nur Bergleute fluchen können, und seine Brüder unterstützten ihn. „Wie, zum Teufel, sollte ich denn ahnen, daß der verdammte Felszacken abbricht?“ knurrte er.
„Besser jetzt als später, wenn wir uns auf ihn verlassen hätten“, bemerkte Kyla gleichmütig. „Ich habe eine bessere Idee.“ Sie machte sich vom Seil los und knotete eines der Reserveseile an ihrem Gürtel fest. Das andere Ende reichte sie Lerrys. „Halt mal das fest“, sagte sie zu ihm, schlüpfte aus ihrer Windjacke und zitterte sofort vor
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