Rettet den Euro!: Warum wir Deutschland und Europa neu erfinden müssen (German Edition)
Straße: Wenn ich 50 Stundenkilometer fahren darf, dann tue ich das auch, selbst wenn es im gegebenen Fall besser wäre, wenn ich langsamer bin. Wenn der Staat ein Defizit von 3 Prozent machen darf, tut er sich in der Öffentlichkeit schwer, aus konjunkturpolitischen Gründen eventuell einen Budgetüberschuss anzusteuern. Der Fairness halber ist zu sagen, dass in den Maastricht-Verträgen die Drei-Prozent-Grenze nur als Obergrenze genannt ist. Normalerweise sollen die Mitglieder einen ausgeglichenen Haushalt aufweisen. Die Politik orientiert sich in der Praxis aber immer an der Obergrenze.
Zudem: Wenn es eine Rezession in der Welt gibt, dann genügt es nicht, dass die Länder ordentlich wirtschaften und keine Löcher in ihren Haushalten zulassen. Dann müssen sie gegensteuern. Sonst droht eine Politik à la Brüning, die die Welt vor 80 Jahren in die Weltwirtschaftskrise abstürzen ließ. Das Gegensteuern kann aber nicht jeder für sich allein machen. Dazu braucht man eine gemeinsame Institution.
Auch die Wirtschaftspolitik wird gebraucht
Strenge Regeln für die Geld- und Finanzpolitik allein garantieren noch nicht das reibungslose Funktionieren einer Währungsunion. Was ist zum Beispiel, wenn ein Mitgliedsland zwar die finanzpolitischen Grundsätze einhält, aber nicht für die Wettbewerbsfähigkeit seiner Wirtschaft sorgt? Es lässt beispielsweise Lohnsteigerungen zu, die weit über das stabilitätspolitisch vertretbare Maß hinausgehen. Es achtet nicht darauf, dass sich seine Industrie auf den Weltmärkten behauptet. Es sträubt sich vielleicht auch nicht dagegen, wenn die Immobilienpreise stark in die Höhe gehen und dort eine Blase entsteht. Es könnte auch sein, dass es eine weniger restriktive Kartellpolitik betreibt.
Das ist nicht nur ein theoretischer Fall. Genau dies trat in Spanien, Irland, Portugal und Italien nach der Einführung der Währungsunion im Jahr 1999 ein und legte den Grundstein für die Schwierigkeiten, die sich zehn Jahre später in der Euro-Krise entluden. Und es zeigte sich nach der Überwindung der Rezession in umgekehrter Konstellation wieder. 2010/2011 war es die deutsche Wirtschaft, die in einen Boom und eine Überhitzung steuerte, weil sie sehr schnell wuchs, während die Peripherieländer aufgrund der Konsolidierungserfordernisse hinterherhinkten.
So etwas müssen Sie schon am Reißbrett verhindern. Sie können ein Land nicht sehenden Auges ins offene Messer laufen lassen. Dies auch deshalb, da hier ein Ungleichgewicht entsteht, das sich auf lange Sicht negativ auf die Währungsunion insgesamt auswirken wird. Es kann sein, dass ausländische Investoren die gemeinsame Währung kritischer sehen, weil sie solche Ungleichgewichte zulässt. Sie investieren weniger in die Gemeinschaft. Das schwächt den Wechselkurs, vor allem wenn das betroffene Land größer ist. Hinzu kommt, dass sich auch der innergemeinschaftliche Kapitalverkehr abwendet, so dass das Land Schwierigkeiten bekommt, seine Leistungsbilanzdefizite zu finanzieren. Auf den Kapitalmärkten der Gemeinschaft muss es höhere Zinsen zahlen. Vielleicht führt das Ganze am Ende sogar zu höheren Preissteigerungen, die sich auch auf andere Mitglieder negativ auswirken.
Für Ihre Planungen am Reißbrett bedeutet das: Sie müssen sich nicht nur um die gemeinsame Geldpolitik und Fiskalpolitik kümmern. Sie müssen auch darauf achten, dass es zu keinen größeren Ungleichgewichten in der Wettbewerbsfähigkeit der Länder kommt. Mit anderen Worten: Sie müssen Einflussmöglichkeiten auf die allgemeine Wirtschaftspolitik installieren.
Das haben Ihre Vorgänger, die Väter der Europäischen Währungsunion, auch gewusst. Leider haben sie es aber nicht richtig verwirklicht beziehungsweise verwirklichen können. Der Grund: Sie haben zu sehr auf den Marktmechanismus vertraut. Sie haben sich darauf verlassen, dass ein Land bei einer sich verschlechternden Wettbewerbssituation selbst die Notbremse zieht, aus Eigeninteresse gegensteuert, wenn es sieht, dass seine Leistungsbilanz ins Negative dreht und dass Kapital und Arbeit abwandern. Dass das nicht oder vielleicht zu spät passieren würde, hielten sie für unwahrscheinlich.
Wie dem auch sei: Es gibt in der Euro-Zone keine Institution, die explizit den Auftrag hat, sich mit der Koordinierung der Politik der Wettbewerbsfähigkeit zu befassen. In der sogenannten Euro-Gruppe, also dem für die Währungsunion zuständigen Ministerrat, sitzen nur die Finanzminister, nicht die
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