Rettet den Euro!: Warum wir Deutschland und Europa neu erfinden müssen (German Edition)
keinem Fall durch irgendwelche Stabilitätsregeln einengen lassen. Im Krieg gibt es andere Prioritäten. Oder sie würden andere Mitglieder der Euro-Zone jeweils als Verbündete oder als potenzielle Verbündete des Gegners ansehen, obwohl die Währungsunion keine Verteidigungsgemeinschaft ist. Die Euro-Zone würde in einen Konflikt getrieben, den sie nie wollte.
Das bedeutet, dass die Währungsunion auch für politische Eventualitäten vorsorgen muss, woraus wiederum schlicht folgt: Wer eine Währungsunion will, muss auch zu einer politischen Union bereit sein. Das bringt uns zurück zu der erwähnten Krönungstheorie. Sie besagt, dass eine Währungsunion letztlich die Krönung der gesamten Integration einer Gemeinschaft ist. Sie wird nur funktionieren, wenn sie mit einem klaren Commitment zu einer weiteren Integration verbunden ist. Es ist daher gut, wenn man das auch gleich bei der Verfassung einer Währungsunion berücksichtigt.
Ein Scheidungsparagraf?
Bleibt noch eine letzte Frage, die man bei der Gestaltung einer Währungsunion am Reißbrett klären muss. Soll es eine Ausstiegsklausel geben? Soll man vorsehen, dass ein Mitglied aus der Gemeinschaft austreten kann oder sogar im Falle von Regelverletzungen auch austreten muss?
Auf diese Frage gibt es kein eindeutiges Ja oder Nein. Jede Regelung hat Vor- und Nachteile. Der Vorteil von Scheidungsklauseln ist, dass man nie weiß, was die Zukunft bringen wird. Mitglieder können sich auseinanderleben. Sie können über Jahrzehnte andere Prioritäten entwickeln. Wenn man sie durch das Band einer Währungsunion auf ewig aneinander bindet, holt man unterschiedliche Entwicklungen in die Union hinein und riskiert, dass am Ende die ganze Union auseinanderbricht. Ein freiwilliger Austritt beziehungsweise erzwungener Ausschluss ist hier in jedem Fall die bessere Alternative. Das ist die Überlegung, die hinter dem entsprechenden Scheidungsparagrafen in der Europäischen Union steht.
Allerdings: Die Währungsunion nimmt nicht jeden x-beliebigen auf. Sie besteht nur aus Europäern, also Ländern, die historisch und kulturell durch enge Bande verbunden sind. Hier wächst also, um es mit Willy Brandt zu formulieren, zusammen, was zusammengehört. Eine solche langfristige Entfremdung von Ländern sollte daher nicht möglich sein. Im Übrigen wird durch die Möglichkeit eines Austritts vielleicht der Disziplinierungszwang einer Gemeinschaft geschwächt, in jedem Fall aber schafft sie Unruhe. Denn wenn die Devisenmärkte wissen, dass ein Mitglied der Euro-Zone ausscheiden kann, sind sie immer versucht, das auch zu testen.
Des Weiteren kann man zugunsten eines Verzichts auf einen Scheidungsparagrafen auch argumentieren, dass Geldwertstabilität, wie zum Beispiel die Menschenrechte, etwas ist, was niemand zur Disposition stellen möchte. So wie die Menschenrechte in den Verfassungen der Nationalstaaten nicht veränderbar und auf »ewig« festgelegt sind, so könnte man das auch für die Stabilität tun. Selbst wenn sich ein Land politisch sonst anders als die anderen Mitglieder orientiert – Geldwertstabilität braucht es zum Funktionieren der Wirtschaft und zur Aufrechterhaltung von Altersvorsorgesystemen und anderem immer. Das ist freilich ein Trugschluss, wie wir oben gesehen haben. Die Währung ist eben nichts »Unpolitisches«. Sie ist stets Bestandteil der politischen Ordnung und lässt sich nicht abteilen.
Wie löst man diesen Konflikt auf dem Reißbrett? Sie können es so oder so machen. Ich persönlich tendiere dazu, keinen Scheidungsparagrafen einzuführen, um die Stabilität der Union auf den Devisen- und Kapitalmärkten nicht zu gefährden. Wer einmal Mitglied ist, ist dieses für ewig.
Dabei kann man durchaus im Hinterkopf haben: Wenn sich die Partner denn wirklich politisch so auseinanderleben, dass sie in der Union nicht mehr zusammenarbeiten können, dann finden sich immer Wege und Möglichkeiten, sich zu trennen. Auch Verträge, die auf ewig geschlossen werden, werden manchmal aufgehoben.
Den Widerspruch mit der Europäischen Union, in der es den Scheidungsparagrafen gibt, sollte man aushalten. In der EU macht es Sinn, dass ein Mitglied austreten kann. Hier gibt es keine Spekulationsprobleme. Vielleicht kann man einfach sagen: Wenn ein Mitglied die Europäische Union verlässt, verliert es nach, sagen wir, fünf Jahren auch die Berechtigung, der Währungsunion anzugehören. Das wird dann zwar eine schwierige Übergangszeit für das ausscheidende Land.
Weitere Kostenlose Bücher