Rettet unser Geld
Lohnkosten verlagern. Die Waren, die sie mit deutschem Etikett deutschen Kunden anboten, stammten immer seltener aus Deutschland, konnten dafür aber preislich mit ausländischen Produkten mithalten. Damit stellte der hohe D-Mark-Kurs für die betreffenden Unternehmen kein Problem mehr dar, im Gegenteil: Man finanzierte mit Niedrigwährungen und kassierte harte Mark. Genauso habe ich selbst es bei der IBM gehalten, wo wir deutsche Werke einzig und allein aus diesem Grund schließen mussten. Unsere Hardware wurde hinfort in Ungarn oder Schottland gefertigt, unsere Mitarbeiter fanden neue Beschäftigung in Software- und Servicezentren, die weniger eng an den Außenwert der D-Mark gekoppelt waren. Doch nicht überall kam es zu solch arbeitnehmerfreundlichen Lösungen - viele
Fabriken machten zu, und die Arbeitsplätze gingen für immer verloren.
Dennoch blieben die meisten Sorgen, die der Industrie durch die starke D-Mark entstanden. Da die anderen europäischen Währungen allesamt schwächer waren, nützte die dortige Konkurrenz die günstigeren Herstellungskosten aus, um den deutschen Markt zu erobern. Mit jeder Abwertung, die von staatlicher Seite für ihre Währung vorgenommen wurde, wuchs ihre Konkurrenzfähigkeit ebenso wie ihre Verkaufszahlen stiegen - die deutschen Wettbewerber hatten das Nachsehen. Da halfen selbst Innovationsfreude und hohe Qualität nur bedingt weiter, denn durch die ständigen Abwertungen der ausländischen Währungen sanken die Kosten der Konkurrenz, ohne dass es den ausländischen Unternehmen die geringste Mühe bereitete.
Gerade in den 1990er Jahren litten deutsche Firmen besonders unter diesen trickreichen Manövern, die ganz offen als competitive devaluations - wettbewerbsbedingte Abwertungen - bezeichnet wurden. So drehten die Italiener gern an ihrer Währungsschraube, und schon wurden ihre zum Export bestimmten Waren billiger. Langsam kamen viele deutschen Unternehmer zur Überzeugung - 77 Prozent, meinte Hans Riehl -, dass die Gemeinschaftswährung den Ausweg aus dieser, wie sie es empfanden, Wettbewerbsverzerrung bieten könnte.
Ernsthaft in Angriff genommen wurde das Projekt Ende der 1970er Jahre. Ich erinnere mich noch gut an jenen April 1978, ich wohnte damals in Paris, als Kanzler Helmut Schmidt und der französische Präsident Giscard d’Estaing einen Neubeginn der währungspolitischen Kooperation in Europa verabredeten, den sie den anderen sieben Regierungschefs der EU dann vortrugen, das heißt, von Anfang an handelte es sich um ein deutsch-französisches Anliegen, wobei sich rückblickend zeigte, dass die eigentlich treibende Kraft Paris war.
Damals hielt ich das ganze Projekt für unrealistisch. Ich war als Director of Operations für eine Reihe mitteleuropäischer Länder verantwortlich, darunter Belgien, Holland, Schweiz und Spanien. Da ich deren Volkswirtschaften also ganz gut in ihrer Verschiedenheit kannte, erschien mir die Idee zwar kaum zu verwirklichen, aber, das musste ich mir eingestehen, eben doch interessant.
Bevor ich für die IBM europäische Verantwortung übernahm, war ich schon in den USA tätig gewesen. Was mich dort gegenüber Europa besonders beeindruckt hatte, war der Dollar, der in allen fünfzig Staaten gleichermaßen galt, ja selbst in anderen Ländern der Welt als Währung akzeptiert wurde. Die Vorteile lagen auf der Hand, und ganz nebenbei gab der » Greenback «, wie er dort genannt wird, da die Rückseite der Banknote immer grün ist, seinen Besitzern ein sehr solides Gefühl monetärer Überlegenheit.
Das wäre für Europa auch nicht schlecht gewesen, dachte ich, doch waren hier die Voraussetzungen vollkommen andere. Wenn es damals neben der »Leitwährung« der Deutschen Mark einen Belgischen Franc und einen Niederländischen Gulden gab, so hatte das insofern seine Logik, als sich darin die divergierenden Wirtschaftssysteme dieser Länder spiegelten. Noch gut erinnere ich mich an einen Ausspruch meines Förderers Alfred Herrhausen, Vorstandssprecher der Deutschen Bank, der kurz vor seiner Ermordung durch Terroristen sagte: »Eine Währung wird dann vernünftig, wenn die ihr zugrundeliegende Wirtschaft vernünftig ist.« Solange aber Europas Wirtschaften so unterschiedlich waren - von »vernünftig« will ich gar nicht sprechen -, sah ich für eine Einheitswährung keine Chance.
Schon im März 1979 trat das von Schmidt und Giscard vorangetriebene Europäische Währungssystem (EWS) in Kraft,
das zum einen die Währungsstabilität zum
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