Rettet unser Geld
ich noch durch ein weiteres Argument, an das unsere Politiker beim
Schnüren des Euro-Pakets gar nicht gedacht hatten: Die Konvergenzkriterien, nach denen ein Haushalt 3 Prozent Neuverschuldung und 60 Prozent Gesamtverschuldung nicht überschreiten durfte, würden auch auf uns selbst Anwendung finden. Nicht nur die anderen Europäer, sondern auch die Deutschen mussten sich in Zukunft mit dem liebgewordenen Schuldenmachen zurückhalten.
Gerade in den 1990er Jahren hatte ich miterlebt, wie verschwenderisch das wiedervereinigte Deutschand mit geliehenem Geld umging. Fast schien es, als wären seit der Verschmelzung von Ost- und West-Mark alle Schleusen geöffnet. Unsere Politiker wurden zu Pumpgenies. Besonders unter Arbeitsminister Norbert Blüm, dem Gewerkschaftler an Kohls Seite, kam es zu einer schier grenzenlosen Verteilung sozialer Wohltaten, die nicht erwirtschaftet, sondern bei den Banken abgeholt wurden, um irgendwann in ferner Zukunft zurückgezahlt zu werden. Übrigens war Blüm der einzige Minister, der sämtliche Kabinettsumbildungen Kohls überstanden hat; in den sogenannten Kanzlerrunden, an denen ich als BDI-Präsident teilgenommen hatte, saß er immer an Kohls Seite. Der kleine Mann kam mir dabei wie eine vergnügte Putte vor, die aus einem riesigen Füllhorn Gaben ausstreut. Wo das Geld dazu herkam, hat ihn so wenig interessiert wie seinen Kanzler.
Die Lust an der Austeilung sozialer Wohltaten, mit denen man das Ost-West-Gefälle auszugleichen und nebenbei Wählerstimmen zu gewinnen hoffte, griff dermaßen um sich, dass es mir nur noch eine Frage der Zeit schien, bis Deutschland genau wie früher Frankreich, Italien oder Spanien auch noch die letzte Scheu ablegen und sich offen zu Inflation, Reformstau und Schuldenmaximierung bekennen würde. Hier kam mir das Maastrichter Konvergenzkriterium der 3 Prozent wie der Zauberstab vor, mit dem sich diese Fehlentwicklung stoppen
ließ. Denn nicht länger lautete die Frage, ob Spanien oder Italien die Hürde nahmen, sondern ob wir, die ehemaligen Musterknaben, es schaffen würden. Und wir mussten es - an diesem Prüfstein führte kein Weg vorbei. So bekam Deutschland unversehens die erste Schuldenbremse verpasst, und das erschien mir angesichts der Bonner Spendierhosen wie ein riesiger Fortschritt.
Ich begann, für den Euro zu werben. Seitdem ich 1995 zum BDI-Präsidenten gewählt worden war, reiste ich von Verband zu Verband, von Mittelstandsbetrieben zu Großunternehmen, um die Stimmung für die neue Einheitswährung zu verbessern. Denn nicht nur die Bevölkerung stand einer Abschaffung der D-Mark ablehnend gegenüber, sondern auch die meisten Mitgliedsfirmen unseres Verbands. Zwar hatten wir keine Umfragen veranstaltet, doch war uns aus vielen Gesprächen klar geworden, dass der typische deutsche Mittelständler den Euro nicht wollte.
Zugunsten der neuen Währung sprachen sich dagegen die elitären Kreise aus, etwa die Vorstandschefs der Dax-Firmen, vielleicht auch der MDax-Firmen, wobei die Faustregel galt: je mehr Exportabhängigkeit, umso größer die Zustimmung. Aber die Konzerne bildeten nicht die Realität der deutschen Industrie ab, die sich aus Hunderttausenden kleinen und mittleren Unternehmen zusammensetzt - im Gegensatz zu den meisten Industriestaaten sind die Großunternehmen bei uns in der Minderheit. Obwohl auch viele mittelständische Firmen unter den competitive devaluation s litten, den wettbewerbsverzerrenden Abwertungen, die uns immer wieder Marktanteile kosteten, kam ihnen die neue Währung, die hier Abhilfe schaffen sollte, unheimlich vor. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass sich die Präsidenten sämtlicher Wirtschaftsverbände für den Euro ausgesprochen hatten.
Mitte 1995 berief ich im BDI ein »Industrieforum« ein - heute würde man das einen think tank nennen -, bei dem zwei Dutzend führende Vertreter der deutschen Wirtschaft darüber diskutieren sollten, welche Konsequenzen der Euro für deutsche Unternehmen mit sich bringen würde. Auch hier zeigte sich deutlich, dass durch die Unternehmenslandschaft ein Riss ging. Wie vorauszusehen, gehörten die Vertreter großer Konzerne zu den Befürwortern. Zwar blieben insgesamt die negativen Stimmen, die sich offen äußerten, in der Minderzahl, doch bemerkte ich, dass es mehr wurden, sobald sich der Zirkel verkleinerte. Offenbar war es schon damals nicht mehr »politisch korrekt«, gegen den Euro zu sein - wie man auch in der Öffentlichkeit Wert darauf legte, als »guter
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