Rettet unser Geld
Prodi berichtet. Beide zeigten sich beeindruckt und froh darüber, dass ihrem Plan, Italien von Anfang an in den Euro-Verbund aufzunehmen, seitens der Industrie keine Steine in den Weg gelegt würden. Der italienischen Tageszeitung La Repubblica teilte ich im Mai 1997 meine Besorgnis mit, dass eine Ausgrenzung Italiens, immerhin Europas drittgrößte Ökonomie, zu gefährlichen Konsequenzen für Deutschland und Frankreich führen konnte,
da nämlich die Lira, sobald sie aus dem Euro-Verbund ausgeschlossen wäre, deutlich an Wert verlieren würde.
Italien also hatte »die Kurve gekriegt«. Und was, so lautete die nächste Frage, würde mit Spanien geschehen? Wie Romano Prodi hatte auch Ministerpräsident José Maria Aznar den Euro als eine Herausforderung angesehen, der man auf außergewöhnliche Weise begegnen musste: Während Prodi öffentlichkeitswirksam Haushaltssanierung und Steuererhöhung durchsetzte, lockerte Aznar den Arbeitsmarkt. Bis zu seiner Amtsübernahme war der spanische Arbeitsmarkt dank starker Gewerkschaften und sozialistischer Politiker der blockierteste in Europa gewesen: Man konnte praktisch niemanden entlassen, was zur Folge hatte, dass man höchst ungern jemanden einstellte. Die Arbeitslosenrate von über 20 Prozent, die Aznar vorfand, und ihre finanziellen Folgen hätten mit Gewissheit die Aufnahme in den Euro-Kreis verhindert. Gerade dank der neuen Hartwährung, die sich das Weichwährungsland Spanien ebenso wünschte wie das inflationserprobte Italien, konnte Aznar bei den Gewerkschaften jene Reformen durchsetzen, die sonst niemals möglich gewesen wären. Und wie Prodi war auch er erfolgreich. Durch Maastricht hatte sich Europas wirtschaftspolitische Landschaft eindeutig zum Positiven gewandelt.
Förmlich beflügelt von diesen Entwicklungen, flog eine prominente Industrie-Delegation unter meiner Führung im Dezember 1997 nach Madrid, um sich über die Fortschritte des Landes in Sachen Konvergenzkriterien zu informieren, womit ich die persönliche Hoffnung verband, meine Kollegen mit meiner Euro-freundlichen Einstellung weiter »anzustecken«. VW-Mann Ferdinand Piëch hatte uns mit seinem Firmenflugzeug in Zürich abgeholt, und am nächsten Tag sollte unsere Delegation von Ministerpräsident Aznar im Palacio de la Moncloa empfangen werden. Auf Piëchs Anregung hatte der lokale
VW-Chef dafür gesorgt, dass wir nur mit Audi-Limousinen transportiert wurden. Da er in Madrid nicht über genügend Fahrer verfügte, hatte er in seiner Not Chauffeure aus anderen Städten angefordert, die uns denn auch stolz durch Madrid kutschierten.
Leider war mein Chauffeur, der aus Barcelona stammte, mit den lokalen Verhältnissen wenig vertraut, was wir aber nicht bemerkten, da er kein Wort Deutsch, Englisch oder Französisch sprach. Kurz vor 21 Uhr, als wir zum Abendessen im Palast erwartet wurden, kam es zum Geständnis: Nach langem Herumgekurve, das immer über dieselbe Kreuzung führte, gab er uns gestikulierend zu verstehen, dass er keine Ahnung habe, wo ein Palast namens Moncloa zu finden sei. Nachdem er sich umständlich durchgefragt hatte, fanden wir endlich unser Ziel, doch kamen wir eine halbe Stunde zu spät.
Was ich dabei ausgestanden habe - man kommt nicht zu spät zu einem Präsidenten -, kann man sich vorstellen, zumal mir, als Delegationsleiter, der Platz gegenüber José Maria Aznar reserviert war. Eine halbe Stunde lang hatte der Ministerpräsident einem leeren Stuhl gegenübergesessen. Als ich ihm mit rotem Kopf mein Missgeschick schilderte, bewies er genug Humor, um herzlich mit mir darüber zu lachen.
Leider zeigte sich schon bald, dass die verblüffenden Erfolge unserer südlichen Partner nicht dauerhaft blieben. Kaum waren der Teilnehmerkreis und die bilateralen Wechselkurse 1998 festgelegt, als sich die ersten Stimmen erhoben, die zur Lockerung der strikten Kriterien aufriefen. Man wollte wieder mehr »politischen Spielraum«, sprich Neuverschuldung; außerdem riefen die Sozialpolitiker, denen die Konvergenzkriterien schon damals ein Dorn im Auge waren, zum »Ende der Bescheidenheit« auf. Mehr Geld sollte unters Volk gebracht werden, um den Konsum zu stimulieren. All das war mir längst vertraut,
doch dass die alte Leier so schnell wiederkehren würde, hat mich einigermaßen verblüfft. Selbst in Prodis Italien legten die Reformer einen niedrigeren Gang ein, und auch in Aznars Spanien atmete man hörbar durch - so heiß wie gekocht wurde, wollte man offenbar nicht essen.
In der
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