Rettet unser Geld
Staatshaushalt der Griechen rapide abwärts ging, folgte die Privatwirtschaft auf dem Fuß. Im ersten Quartal, so gab die griechische Statistikbehörde bekannt (der wir hier ausnahmsweise folgen wollen), war die Wirtschaftsleistung im Vergleich zum Vorjahr um 2,5 Prozent geschrumpft. Die Industrieproduktion, die schon 2009 um 19 Prozent eingebrochen war, sank noch einmal um 6 Prozent. Nicht verwunderlich, dass von rund 4 000 Firmen, die die Athener Wirtschaftsforschungsgruppe ICAP Mitte Mai befragte, 36 Prozent angaben, sie hätten im vergangenen Jahr rote Zahlen geschrieben und erwarteten 2010 »noch schlechtere Geschäfte« ( Welt am Sonntag ).
Mit Griechenland ging es also beschleunigt bergab, und ebenso schnell ging es mit den Zinsen und Risikoprämien für griechische Staatsanleihen bergauf. Daran beteiligt waren amerikanische Firmen, deren Namen seit der jüngsten Weltfinanzkrise einen traumatischen Beiklang bekommen hatten - etwa die Ratingagentur Standard & Poor’s, die Investmentfirma Goldman Sachs und diverse Hedgefonds. Jetzt versetzten diese Milliardenjongleure die europäische Finanzszene und den Euro erneut in Angst und Schrecken (siehe Kapitel 7).
Als Folge der dramatischen Verschlechterung der griechischen Zahlungsfähigkeit wurde im Februar 2010 der Athener Staatshaushalt unter EU-Kontrolle gestellt und zusätzlich ein Verfahren wegen Manipulation der Budgetstatistik eingeleitet - derlei »Manipulationen«, wie der wertfrei gewählte Begriff für die Bilanzfälschung lautete, waren zwar schon 2004 entdeckt worden, aber man hatte offenbar die Kontrolle schleifen lassen, als handle es sich um ein Kavaliersdelikt.
Damit es zu keinem Bankrott eines Euro-Landes kam, was man schon aus Imagegründen vermeiden wollte, wurde bald über das beraten, was die Maastricht-Verträge eindeutig untersagt hatten und wovor Otmar Issing so eindringlich warnte: einen klassischen Bail-out . Die Summen, die dazu nötig waren, wurden täglich nach oben korrigiert, ebenso wie die Prozentzahlen des griechischen Defizits, das sich langsam aus dem Nebel der Verschleierung herauslöste und in furchterregender Größe vor die europäische Öffentlichkeit hintrat: Laut Statistikbehörde Eurostat betrug es für das Jahr 2009 unglaubliche 13,6 Prozent.
Die Folgen sind bekannt und stecken den Deutschen noch in den Knochen, vor allem weil sich schnell herausstellte, dass es nur die vorläufig ersten Folgen sein sollten. Anfang Mai 2010 hatte Griechenland praktisch keinen Zugang mehr zu flüssigem
Geld, war also pleite. Das hätte nicht nur das Land selbst betroffen, sondern auch seine Kreditgeber - wenn nicht mächtige Institutionen helfend eingesprungen wären, die traditionell mit deutschem Steuergeld großzügig ausgestattet sind: An erster Stelle die EU-Kommission, außerdem die von Jean-Claude Trichet geleitete EZB sowie der von Dominique Strauss-Kahn geführte Internationale Währungsfond (IWF) kamen zu dem, was ich eine »französische Lösung« nennen würde - man sicherte Griechenland bis 2012 Kredite in Höhe von 110 Milliarden Euro zu, an denen Deutschland sich direkt mit 22,4 Milliarden an Bürgschaften zu beteiligen hatte. Bundestag und Bundesrat stimmten mehrheitlich zu, Bundespräsident Horst Köhler unterschrieb das Gesetz, dessen monströser Name »Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetz« (WFStG) das Gegenteil dessen suggeriert, was es langfristig bewirkt. Stabilisiert wurde allenfalls Griechenland und auch das nur vorläufig - der Euro dagegen hat schweren Schaden genommen und die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union obendrein. Denn von Maastricht-Kriterien und No-Bail-out -Klausel war nicht mehr die Rede.
Typisch für diese kollektive Selbsttäuschung der Europäer erschien mir damals der Ausspruch des Kommissionspräsidenten Barroso, der die EU-Philosophie in den Worten zusammenfasste: »Entweder wir schwimmen zusammen - oder wir gehen getrennt unter.« Der Satz ist so falsch wie die Idee, die er ausdrückt. Als Segler weiß ich zufällig, wie Schiffbrüchige sich nicht verhalten sollen: Wenn sie sich aneinanderklammern, gehen sie gemeinsam unter - Rettung gibt es nur, wenn man sich frei macht und allein schwimmt.
Was aber wäre gewesen, wenn man es auf einen Bankrott hätte ankommen lassen und - um zu meinem Kirmes-Vergleich zurückzukehren - der Sparsame dem Verschwender seine Bitte
abgeschlagen hätte? Wie hätte Griechenland reagiert, wenn es die Suppe hätte auslöffeln müssen, die es sich selbst
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