Rettungskreuzer Ikarus Band 007 - Netzvirus
ihnen besaß
eine Veranda, die ein wenig Schatten spendete. Vorhänge schützten
die Räume vor der Mittagssonne, und alles schien ausgeblichen und staubig
zu sein. Seltsam war nur, wie ausgestorben die Stadt wirkte – außer
drei verlorenen Hühnern, die zwischen leeren Fässern im Sand pickten,
gab es keine Bewegung.
»Wo sind denn alle hin?«, fragte Weenderveen, und Jamesy zuckte die
Schultern.
»Es ist doch so heiß«, antwortete das Kind, aber irgendwie klang
das zu lässig, so als wäre das nur die halbe Wahrheit.
Weenderveen sah sich nach dem kleinen Hund um und entdeckte das Suchprogramm
vor den halbhohen Schwingtüren des Saloons. Vielleicht würde es da
tatsächlich etwas zu trinken geben – so wie sein Scheinkörper
die Hitze spürte, sehnte er sich nach einem kalten Bier. Bevor sie die
Kneipe erreichten, aus der dünne Musikfetzen von einem verstimmten Klavier
drangen, trennte sich Jamesy mit einem kurzen Gruß von Weenderveen und
verschwand zwischen den Häusern. Der ›Doc‹ drückte die Flügel
der Tür auf und trat mit dem Hund in den Raum ein. Ganz im Gegensatz zur
Straße war der Saloon alles andere als verlassen. An den Tischen drängten
sich Männer in typischen Westernklamotten, meist den Hut noch auf dem Kopf,
die staubigen Stiefel ausgestreckt. Die Gäste drehten sich um, als Weenderveen
eintrat, wandten sich aber rasch wieder ab, so als wäre er ein vertrauter
Anblick. Obwohl der Mann am Klavier sein Bestes gab, war die Stimmung seltsam
angespannt – Weenderveen bemerkte gleich, dass die meisten Gäste ihre
Waffengürtel so um die Hüften trugen, dass sie die Revolver schnell
ziehen konnten. Unbehagen ließ ihn im Eingang verharren – eben waren
sie vor drei schießwütigen Mafiosis geflohen – und hier hatte
vermutlich selbst Jamesy eine Waffe unter seinem Strohhut versteckt. Das erhöhte
die Chance, absichtlich oder versehentlich von einem Killerprogramm erwischt
zu werden, ganz gewaltig. Doch der Hund stürmte bereits in den Saloon,
bahnte sich seinen Weg zwischen den Tischen hindurch und begann dann laut zu
kläffen. Als Weenderveen ihm folgte, sah er, wie das Suchprogramm an einer
Bardame mit einem eng geschnürten Korsett und langem Rock hochsprang, deren
blonde Haare kunstvoll aufgetürmt waren. Sie beugte sich herunter, griff
nach der Hundemarke am Halsband – hatte es vorher überhaupt eines
gegeben? – und las die Aufschrift. Als sie sich wieder aufrichtete, lächelte
sie mit rot geschminkten Lippen.
»Hallo Weenderveen. Wie ich sehe, funktioniert die intuitive Steuerung
auch bei Ihnen noch – ich hatte Sorge, Sie hätten den Notfall-Auscheck
nicht unbeschadet überstanden.«
Der ›Doc‹ starrte die Bardame an, und sein Mund klaffte auf. Die schöne
Frau hatte unverkennbar Trooids Stimme, was aber niemandem außer ihm auszufallen
schien.
Trooid nahm den kleinen Hund auf den Arm und beugte sich zu Weenderveen hinüber.
»Hier herrscht ziemlich dicke Luft – es scheint so als würde
ein Funke genügen, um das Pulverfass zum Explodieren zu bringen.«
Der ›Doc‹ nickte, blickte auf die vielen Schusswaffen und wünschte
sich, der Android hätte eine andere Metapher gefunden.
»Haben Sie schon herausfinden können, warum? Und weswegen sind wir
eigentlich diesmal nicht zusammen hier angekommen?«
»Vermutlich weil ich aufgrund meiner schnelleren Reaktionen eher als Sie
aus dem ersten Virus-Szenario ausgestiegen bin – allerdings mit genauso
wenig Erfolg. Und was die andere Frage betrifft ...« Die Bardame warf unter
ihren langen, dunkel getuschten Wimpern einen Blick in den hinteren Teil des
Saloons. »Da hinten sitzt der Grund, weswegen sich alle mit einer Hand
am Whiskey, mit der anderen an ihren Revolvern festhalten. Don Darkos.«
»Don Darkos ?«
Trooid zuckte die Schultern. »Der Programmierer des Virus hat anscheinend
einen Hang fürs Dramatische. Auf jeden Fall sitzt der Don da drüben
mit seinen Leuten. Nach dem, was ich bisher gehört habe, kam er gestern
früh in die Stadt und hält seitdem alle in Atem. Er hat den Sheriff
und seine Gehilfen eingesperrt – zumindest ist das das freundlichere Gerücht.
Andere sagen, er hat sie einfach umgelegt. Somit gibt es hier keine offizielle
Institution, die ihm Einhalt gebieten kann.«
»So wie die Mafiosis in Chicago die Polizei ausgeschaltet haben –
steht wohl beides für die Sicherheitssysteme von Vortex
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