Rettungskreuzer Ikarus Band 007 - Netzvirus
, dachte Weenderveen und behielt die Ruhe –« die
nächste Scheinwelt des Virus. Was ist das hier? Ein Historienfilm aus der
Kolonialzeit auf der Erde? Der Programmierer des Virus' scheint eine Schwäche
für solche Szenarien zu haben .« Der Robotiker hielt inne und versuchte
herauszufinden, was diesmal anders war als an der Umgebung, die sie gerade verlassen
hatten. Eine Böe trieb ihm Sand ins Gesicht, er spukte aus und fuhr sich
mit den Händen über den Mund, wobei er bemerkte, dass er einen prächtigen
Backen- und Schnauzbart besaß. Und plötzlich wusste er es. Er spürte
den Wind und die Wärme der Sonne, die splittrige Wand im Rücken. Das
hier waren nicht mehr nur Bilder und Töne, sondern Gefühlsempfindungen!
Der Programmierer hatte zwar für diese Welt noch weiter zurück in
die Geschichte gegriffen, dabei aber modernere Technik als Grundlage genommen,
vermutlich die »Fühlfilme«, die einmal so modern gewesen waren.
Durch spezielle Ausrüstung war es bei ihnen möglich gewesen, dem Zuschauer
Empfindungen wie Wärme, Kälte, Oberflächenbeschaffenheit, Druck
und dergleichen zu vermitteln, natürlich nur in einem Maße, das den
Genuss des Filmes steigerte – niemand hätte sich sonst ein Abenteuerdrama
auf dem Eisplaneten Fox 2 angetan. Der Erschaffer dieser Viruswelt brauchte
die teure Ausstattung nicht, die den Fühlfilmen letztlich die Existenz
schwer gemacht hatte – er konnte ja direkt auf die Nervenimpulse der Leute
zugreifen, die sich in seinem Werk verfangen hatten.
Weenderveen wusste nicht, ob das für ihn und seinen Aufenthalt hier irgendwelche
gravierenden Folgen haben würde – fürs Erste war es ihm schon
genug, dass ihm der Schweiß in Strömen das Gesicht herunter lief.
Er wühlte in den Taschen der langen, schwarzen Anzugsjacke herum, die er
über dem Hemd und der dezent blau gemusterten Weste trug, und fand wirklich
ein Tuch, mit dem er sich die Stirn abtupfen konnte. Erst als er sich von der
Wand löste und einen Schritt nach vorne trat, wurde ihm wirklich bewusst,
dass dieser Körper sehr, sehr massig war – ein kugeliger Bauch wölbte
sich weit über den Hosenbund, vermutlich das beeindruckende Ergebnis guten
Essens und noch mehr Alkohols. Weenderveen seufzte etwas wehmütig und wünschte
sich kurz, er hätte die junge Gestalt zurück, die er in den Gassen
von Chicago gehabt hatte und mit der alle Bewegungen so leicht gewesen waren
...
»Ist alles in Ordnung, Doc?«
Die Frage schreckte ihn aus seinen Gedanken, und er blickte nach unten –
ein kleiner Junge von nicht einmal zehn Jahren stand da und hielt ihm einen
schwarzen Hut entgegen.
»Trooid?«, fragte Weenderveen vorsichtig, aber das Kind starrte ihn
nur mit großen Augen an.
»Nein, Doc, ich bin Jamesy, Sie wissen doch, von Mrs. Austin?«
»Achja, Jamesy, natürlich. Tut mir leid, die Sonne ...« Weenderveen
griff nach dem Hut und setzte ihn sorgsam auf. Der Junge musterte ihn noch immer
eindringlich.
»Meine Mutter meint immer, Sie sollen nicht mittags draußen rumlaufen,
weil sie's doch mit dem Herzen haben, Doc«, tadelte er ihn mit seiner Kinderstimme,
und Weenderveen seufzte noch einmal. Ein herzkranker, übergewichtiger Arzt?
Nach welchen Kriterien suchte sich das Virus wohl die Gestalten aus, in die
man schlüpfte? Aber viel wichtiger war jetzt die Frage, wo sich Trooid
befand. Wenn er nur wüsste, wie er nach ihm suchen sollte ... Im diesem
Moment kam ein kleiner Hund um die Ecke geschossen, dessen braune Flecken den
Eindruck erweckten, er hätte sich zu lange im Sand gewälzt. Er stürmte
auf Weenderveen zu und sprang begeistert an seinen Beinen hoch, wobei er unablässig
hechelte und kläffte. Mit Mühe beugte sich der ältere Mann hinunter
und streichelte das Tier, dann grinste er mit einem Mal breit, als er begriff,
warum der Hund hier aufgetaucht war.
»Braver Junge! Finde Trooid, ja? Wo ist Trooid?«, forderte er das
Suchprogramm mit väterlicher Stimme auf, und der kleine Vierbeiner sprang
noch einmal hoch, ehe er sich umdrehte und wieder davon rannte.
»Na, dann wollen wir mal hinterher, Jamesy.« Mit dem Kind an seiner
Seite verließ Weenderveen den Hof und trat auf die schnurgerade, breite
Hauptstraße des kleinen Ortes hinaus. Sie sah so klassisch aus, dass er
sich fast wie zu Hause fühlte. Ihre beiden Seiten wurden von zwei- oder
dreistöckigen Holzhäusern gesäumt, fast jedes von
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