Rettungskreuzer Ikarus Band 030 - Held wider Willen
Schluttnicks, mit denen Ruklei bisher zu tun gehabt hatte, war Sinsei
jedoch nicht dazu übergegangen, ihre Frustration in Abneigung oder gar
Hass umzuwandeln. Vielleicht fiel es leichter, pragmatisch zu sein, wenn man
seit Jahren die Sterne beobachtete und seine eigene Größe nicht mehr
so wichtig nahm. Rukleis Art, mit den ihr entgegen gebrachten Aufmerksamkeiten
umzugehen, half sicherlich ebenfalls, die Freundschaft der beiden Frauen zu
stärken.
Mit einer energischen Geste hob Ruklei die üppig dekorierten, vor Schleifen
und Goldflitter triefenden Schachteln auf ihre Arme und fegte sie achtlos auf
einen kleinen Beistelltisch.
»Pralinen«, murmelte sie unenthusiatisch. »Man möchte meinen,
dass der führenden intellektuellen Elite dieser Welt mal etwas Innovativeres
einfallen könnte.«
»Es sind sehr gute Pralinen«, wandte Sinsei ein, nicht ohne einen
begehrlichen Blick. Ruklei lachte und warf ihr die größte und prächtigste
Schachtel zu, nicht ohne vorher die daran befestigte Karte abgerissen und in
den Aktenvernichter geworfen zu haben. Das Gerät zerkaute die schwülstigen
Liebesbezeugungen ohne Mühe.
»Du willst nicht einmal wissen, von wem die sind?«, fragte Sinsei,
während sie den Deckel anhob und das Seidenpapier zur Seite schob. Ein
unerhört köstlicher Geruch stieg von den kleinen Schokokunstwerken
auf. Ruklei schüttelte nur knapp den Kopf.
»Besser nicht. Das erspart dem Absender und mir einige Peinlichkeiten,
wenn wir uns irgendwo in den Fluren treffen.« Mit der gleichen akribischen
Art entfernte sie die anderen Karten und zerstörte sie. Dann wandte sie
sich mit einem erleichterten Seufzen ihren Instrumenten zu.
»Und, was sagst du dazu, was gestern Abend passiert ist?«, fragte
Sinsei mit halb vollem Mund.
»Absolut unglaublich. Und rätselhaft, sehr rätselhaft.«
»Ja, nicht wahr? Keiner weiß, woher sie gekommen sind! Wie können
sie einfach aus dem Nichts auftauchen?«
»Genau. Aber trotzdem haben sie es getan. Eben noch keine Spur von ihnen
und dann ...«
»Ja, und was für Gestalten. Ein Monstrum aus den Disziplinierungs-Nachtgeschichten
unserer Mütter und ein perfekter Held, der mit ihm kurzen Prozess macht.«
Sinsei wollte fortfahren, dann sah sie das fragende Gesicht Rukleis, hielt inne
und seufzte.
»Okay, ich weiß, wovon ich gesprochen habe. Aber worüber hast
du geredet?«
Rukleis Lächeln war etwas schief, als sie auf ihre Instrumente deutete.
»Von den Störsignalen. Sie sind gestern Abend aufgetaucht und ich
habe absolut keine Ahnung, woher sie kommen.« Ruklei zeigte auf den Bildschirm,
auf dem die Messdaten sich zu einer anschaulichen Grafik angeordnet hatten.
Zumindest hatten sie das getan, bis zum gestrigen Abend. Eine grässliche
rote Zackenlinie nahm dort ihren Anfang und zerstörte die Harmonie der
bisherigen Darstellung nachhaltig. Ruklei stützte den Kopf auf ihre weichen
Hände und machte ein finsteres Gesicht.
»Störstrahlung«, murmelte sie und es klang wie eine Kriegsandrohung.
»Irgendeine Fabrik in der Hauptstadt hat vermutlich eine neue, verbotene
Anlage in Betrieb genommen, die so schlecht abgeschirmt ist, dass sie die ganze
Nachbarschaft grillt. Oder es ist wieder ein illegaler Nachrichtensender von
den Bescheidenheits-Propheten. Oder ...« Sie hielt inne und warf in Hände
in die Luft. »Oder was auch immer! Es gibt so viele Möglichkeiten!«
»Und wenn die Sensoren beschädigt sind?«
»Nein. Die sind okay.« Schluttnicktechnik neigte zu Ausfällen,
hauptsächlich durch Fehlbedienung. Aber Ruklei hatte die Sensoren, mit
denen sie das Sonnensystem auf der Suche nach viel versprechenden, erzhaltigen
Asteroiden durchforschte, selbst entwickelt und gebaut.
»Du musst einen neuen Filter einbauen«, schlug Sinsei vor und begann,
noch immer den Mund voller Pralinen, eine Simulation zu programmieren. »Wenn
du die Störstrahlung aussiebst, dann solltest du ...«
»Ich hab's versucht. Die ganze Nacht. Ich habe kein Auge zugetan«,
fiel Ruklei ihr resigniert ins Wort. Sinsei warf einen Blick auf den frischen,
lindgrünen Teint ihrer Kollegin, dann nahm sie einen Hauch von dunklen
Augenringen wahr und glaubte ihr. Sie wusste, wie sie selber nach einer durchgearbeiteten
Nacht aussah. Aber Ruklei verlieh der feine Schatten nur etwas leicht Melodramatisches,
wie eine dieser Filmschönheiten, die verzweifelt weinen konnten, ohne dabei
auch nur eine Spur
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