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Return Man: Roman (German Edition)

Return Man: Roman (German Edition)

Titel: Return Man: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.M. Zito
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Denkvermögen, sondern wurden von einem Impuls angetrieben, der auch für Marco unerklärlich war. In seiner Eigenschaft als Neurologe– du bist jetzt ein Ex-Neurologe, korrigierte er sich– hatte er aber zumindest eine Vermutung. Ihre Gehirne waren auf das Stammhirn reduziert worden. Die Hirnfunktionen liefen nur noch im primitiven Reptilienkomplex ab, der von Zorn, Angst, Überlebensdrang und Hunger dominiert wurde. Dennoch fanden im neuronalen Netzwerk noch rudimentäre Aktivitäten statt: Es floss ein sehr schwacher Strom von der Amygdala in den präfrontalen Cortex. Ein Rest des emotionalen Gedächtnisses des höheren Gehirns.
    Er bezweifelte jedoch, dass das ein Trost für die Toten wäre. Andererseits schien es sie auch nicht zu kümmern. Es wirkte einfach wie eine Gravitationskraft, die ihre kalten Körper dorthin zog, wo die Restwärme ihres Lebens nachglühte.
    Für Roark war dieser See der Ort, wo auch das enden würde.
    Marco legte die Ruger an und suchte das Seeufer ab; ein letztes Mal hielt er durch das Zielfernrohr Ausschau nach möglichen Gefahren, bevor er zum Schuss ansetzte. Im Fadenkreuz schien das Seeufer ruhig. Nichts Neues, nichts, was er zuvor übersehen hätte. Auch keine Anzeichen dafür, dass irgendjemand im Hinterhalt lag.
    Konzentrier dich, sagte er sich. Vorsicht war natürlich geboten– doch wenn er übervorsichtig war, würde die Leiche vielleicht wieder zwischen den Bäumen verschwinden, und dann hätte er sein leichtes Ziel verloren. Und Marco hatte nicht die geringste Lust, dem toten Mann durch dichten Wald und gebirgiges Gelände zu folgen. Also schlang er den Gewehrriemen um den äußeren Arm, um im Sitzen einen sicheren Schuss platzieren zu können.
    Er stellte das Visier ein. Zweihundert Meter, ins schwarze Loch des verschrumpelten Ohrs der Leiche. Der kalte Schaft aus Walnussholz drückte gegen Marcos Wange.
    Er sah, wie sich Roarks Unterkiefermuskeln anspannten. Die Kiefer zerkauten noch immer den knorpeligen Frosch. Die Leiche ließ emotionslos den Blick über den See schweifen.
    Marco wartete, bis sie den Kopf wieder ruhig hielt.
    Jetzt. Das Fadenkreuz kam mit der Mitte des Ohrs zur Deckung.
    Ein kurzes Zögern…
    …und Marco feuerte.
    1 . 3
    Der Knall der Ruger hallte zwischen den Bäumen wider, und die Kiefernadeln vibrierten millionenfach. Er sah, wie ein Stück der Schädeldecke der Leiche weggesprengt wurde, seitlich wegflog und wie ein flacher Kiesel zweimal über die Wasseroberfläche hüpfte. Das Echo des Schusses wurde von den Bergen auf der anderen Seite des Sees zu Marco zurückgeworfen. Er schaute halb betäubt zu, wie die Leiche mit dem Gesicht nach unten ins flache Wasser fiel und es mit dieser ekligen Flüssigkeit verunreinigte, die diese Dinger absonderten– es war kein richtiges Blut, sondern schwarz und flüssig wie Durchfall. Dann blieb sie reglos dort liegen.
    Was auch immer von Andrew Roark in diesem wiederbelebten Stück Fleisch noch übrig gewesen war– nun war es endgültig verschwunden.
    Alle Körperteile waren gleichermaßen tot.
    Marco sah, wie die Leiche etwa einen Meter vom Ufer entfernt auf den Wellen schaukelte. Der See und der Wald verharrten nach dem Schuss in totaler Stille. Er stellte sich vor, wie die Insekten, die Vögel und die anderen Tiere den Atem anhielten und ihre Herzen wie Presslufthämmer in der Brust schlugen.
    Er warf die leere Patronenhülse aus und setzte das Gewehr auf der Plattform ab. Dann legte er den Kopf zurück und schloss die Augen. Er lauschte, sog den vitalisierenden Duft der Kiefern ein und atmete durch den Mund wieder aus. Er wartete. Minuten vergingen. Die Stille drohte ihn zu überwältigen.
    Nach dem Schuss hatte er dieses eigenartige Gefühl verspürt– wie die Trauer um einen Menschen, den er gekannt hatte und der ihm wichtig gewesen war. Marco wusste, dass persönliche Gefühle keine Rolle spielen durften. Dennoch vermochte er sie nicht zu verdrängen. Das wäre auch kaum möglich gewesen. In den letzten zwei Monaten war Roark eine Art Gefährte geworden, der Marcos ganzes Denken beherrscht und ihn bei der Planung vor so manche Herausforderung gestellt hatte. Das klang pathetisch, aber es war die Wahrheit. Und nun war es vorbei.
    Roark war zurückgegeben worden.
    Also saß Marco da und wartete darauf, dass die Trauer und die Stille verflogen.
    Allmählich erwachte die Tierwelt wieder zum Leben. Eichhörnchen keckerten. Meisen und Ammern kehrten auf ihre Bäume zurück und verständigten sich mit

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