Return Man: Roman (German Edition)
das im verqualmten Führerstand durchaus Aussicht auf Erfolg hatte– allerdings nicht bei einer gründlichen Inspektion. Wu konnte nur hoffen, dass die ausfallen würde.
Die Seitentür der Lokomotive klapperte im Rahmen, und er schreckte auf.
Sie waren hier. Drangen ins Führerhaus ein.
Seine Lunge drohte zu platzen. Los jetzt! Er hatte keine Zeit mehr, im Qualm den Rucksack zu suchen. Verzweifelt umklammerte er seinen Hals, um die Luftröhre zu blockieren– nur ein Atemzug, und er würde erst das Bewusstsein und dann das Leben verlieren–, und rannte den Gang entlang, wobei die Messer am Gürtel hin und her baumelten. In dem Moment, als die Seitentür sich mit kreischenden Angeln öffnete, rannte Wu durch die Hintertür in den Durchgang zum ersten Waggon und duckte sich, während die Tür sich hinter ihm schloss.
Er riss den Mund auf und spürte, wie frischer Sauerstoff den Körper belebte.
Gierig sog er die Luft ein und wartete… eine halbe Minute verging… Er hatte die Mandarinenten-Haken gezückt und war bereit zuzustechen, wenn die Tür aufging… falls jemand ihn verfolgte.
Aber nichts geschah.
Vorsichtig stand er auf und lugte durchs Sichtfenster.
Das Gas hatte sich inzwischen so weit verdünnt, dass er durch den Korridor bis zum Führerstand sehen konnte. Er erkannte einen breitschultrigen Soldaten– nur einer, dachte Wu mit steigender Zuversicht–, der mit einer olivgrünen Uniformjacke und einem Barett bekleidet war und gerade am Führertisch zugange war. Der Mann, dessen Gesicht hinter einer schwarzen Gasmaske verborgen war, durch die er Darth Vader ähnelte, leuchtete mit einer Taschenlampe im Führerstand umher. Der Strahl fiel auf das Gesicht des bewusstlosen Marco…
…und verharrte dort, als ob der Mann nachdenken würde.
Dann wanderte der Lichtstrahl einen Meter weiter und erfasste den toten Mechaniker, der in der amerikanischen Uniformjacke steckte und mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden lag.
Wu verspannte sich und versuchte, den Mann durch die schiere Kraft seiner Gedanken zu beeinflussen.
Komm schon. Traue deinen Augen. Sei ein Narr.
Der Soldat bückte sich und legte dem bewusstlosen Marco Handschellen an. Dann stand er auf und zog eine Pistole aus dem Gürtel. Er zielte nach unten und gab zwei Schüsse in den Hinterkopf des toten Mechanikers ab.
Die Schüsse hallten wie Lachsalven in Wus Kopf wider. Er lächelte kalt und selbstzufrieden, als der Soldat die Waffe wieder einsteckte, Marco an den Fußknöcheln packte, ihn zur offenen Tür zog und nach draußen brachte.
Erleichtert drehte Wu sich um und rutschte an der Wand hinab. Der Gestank des Gases hatte sich in seinem Hemd festgesetzt. Er rümpfte die Nase und wischte sich die gereizten Augen mit dem Arm ab.
Wu wartete noch zehn Minuten, bis er sicher war, dass der Soldat den Zug wieder verlassen hatte. Dann kroch er nach draußen auf die Böschung. Die Morgensonne erhob sich gerade über die Hügel. Die Hitze brannte auf seinen Schultern wie ein Peitschenhieb.
Er sah, wie der bärtige Reiter hügelab Marco einen heftigen Schlag mit dem Handrücken versetzte. Wu zuckte zusammen und spürte heißen Zorn in sich aufwallen. Er runzelte die Stirn und wunderte sich über diese Reaktion. Ob der Amerikaner litt, war ihm egal– oder sollte es zumindest sein–, und doch hatte Wu das Gefühl, dass er persönlich betroffen war. Beleidigt. Ja, das war die Erklärung.
Henry Marco gehörte Wu, und Wu allein würde über die Bestrafung entscheiden.
Er verdrängte den Gedanken. Im Moment kam es darauf nicht an. Nur darauf, den Amerikaner lebend zurückzuholen, bevor noch mehr Milizionäre eintrafen…
Er riss die Augen auf.
Der Reiter hielt einen Zünder in der Hand.
Sofort versetzte Wu sich in die Lage des Feindes und erkannte die Logik seines Handels. Die Lokomotive war mit Sprengstoff präpariert worden– Plastiksprengstoff, dachte er flüchtig, C4 oder russischer PVV , obwohl das nun auch keine Rolle mehr spielte–, damit sie nicht mehr von anderen feindlichen Agenten benutzt werden konnte, die vielleicht noch hier auftauchten. Der Zug stand zehn Meter über ihm auf dem Hügel; so nah, dass er noch den beißenden Geruch des Gases zu riechen vermochte. In seinem Kopf formte sich ein Wort, hell und kurz wie ein Blitz– los! –, und dann reagierte er instinktiv; er katapultierte sich den Hügel hinab, weg von den Schienen, als die Explosion die Stille des Morgens zerriss und eine Feuerwalze über die Stelle
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