Return Man: Roman (German Edition)
dieses Mannes, Ken Wu, Gestalt an. Doch er war sich nicht sicher, ob es ihm auch gefiel. Das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte, hatte Marco seit gestern nicht mehr losgelassen: ein nagendes Unbehagen, als hätte er ein Steinchen im Stiefel. Doch wenigstens trug Wus Beichte zur Klärung der Sache bei.
» Soll ich Sie noch immer › Sergeant‹ nennen?«, fragte er.
Wu zuckte die Achseln. » Wenn Sie wollen. Das war zumindest mein Dienstgrad, bevor ich zum militärischen Nachrichtendienst gewechselt bin.« Er bückte sich und legte das restliche Verbandszeug ordentlich wieder in die Plastiktüte.
Marco biss sich auf die Lippe. Er war noch nicht ganz bereit, zu vergeben und zu vergessen. Denn in einem Winkel seines Bewusstseins hallte noch immer der Todesschrei des bärtigen Soldaten nach.
» Was haben Sie zu ihm gesagt?«, fragte er Wu.
Wu sah verwirrt auf. » Zu wem?«
» Zum Reiter. Bevor Sie ihn dort zurückließen, hatten Sie ihm irgendetwas ins Ohr gesagt.«
Wu schien zu erstarren und blickte Marco mit frostiger Miene an. Wieder hatte Marco das Gefühl, dass eine Rechenmaschine hinter den grünen Augen des Mannes ansprang und ratterte und klickte– als wäre dort, wo andere Menschen ein Gehirn hatten, ein Computer eingebaut.
» Ich habe ihm gesagt«, sagte Wu tonlos, » dass es meine Pflicht wäre, ihn zu vernichten.«
» Super.« Marco schnitt eine Grimasse. » Sehr patriotisch von Ihnen.«
» Höre ich etwa Kritik aus Ihren Worten heraus, Doktor?«
» Weil Sie ihn haben krepieren lassen? Verdammt noch mal ja, und wie ich das kritisiere.«
» Unser Leben hatte ihm auch nichts bedeutet. Ihm ist nichts Schlimmeres widerfahren als das, was er uns zugedacht hatte.«
» Deshalb haben Sie ihn also einfach umgebracht.«
» Ja. Ich habe schon viele Männer wie ihn getötet. Man muss nur wissen, wann es erforderlich ist.« Wus Blick flackerte warnend, als rechnete er mit Widerspruch.
Doch Marco hatte innerlich bereits den Rückzug angetreten. Ich kann das nicht machen, sagte er sich. Ich stecke tief in der Scheiße. So gottverdammt tief, dass man schon ein U-Boot bräuchte, um mich zu finden. Er sah Wu an, wobei vor seinen Augen alles in der Hitze verschwamm, und schluckte mit einem elenden Gefühl.
» Ich habe noch nie jemanden getötet«, sagte er. » Bis heute nicht.«
Dieses Geständnis schien Wu zu überraschen. Der Soldat runzelte die Stirn.
» Zumindest keine lebenden Menschen«, fuhr Marco fort. » Nur Leichen. Was ich damit sagen will– ich habe noch nie einen Menschen lebend gefangen genommen und ihn dann getötet. Ich mache nur › Tote noch toter‹, und das ist schon schlimm genug. Wie Cassandra Pearson– sie war eine tote Grundschülerin. Das war wirklich krass. Sie… sie saß im Freizeitpark Knott’s Berry Farm in der Achterbahn, wie zur Salzsäule erstarrt wartete sie in dem Wagen am Einstieg.«
Er zog die Mundwinkel nach unten. Wieso erzähle ich ihm das überhaupt?
Weil es ein gutes Gefühl ist, die Beichte abzulegen, wurde er sich bewusst.
» Wie dem auch sei«, sagte er, verdrängte die Erinnerung und sammelte sich, » das von heute übertrifft das noch. Ich meine, ich weiß, dass er ein übler Kerl war oder was auch immer. Aber… er war lebendig, noch immer ein richtiger Mensch, und ich…«
Er seufzte klagend und gab es auf. » Sei’s drum. So eine Scheiße passiert halt, nicht wahr?«
Wus Gesicht umwölkte sich. Er beugte sich über die Tüte und holte einen Stapel Straßenkarten heraus. Dann ging er mit der Tüte zum Quad und verstaute sie im Gepäcknetz an der Seite. Als er sich wieder zu Marco umdrehte, hatte seine Körpersprache sich verändert. Die hochgezogenen Mundwinkel suggerierten beinahe Empathie – obwohl dieser Ausdruck doch zu aufgesetzt wirkte, um authentisch zu sein. Er reichte Marco die Landkarten.
» Suchen Sie Sarsgard«, wies er ihn an und blickte in der Richtung, aus der sie gekommen waren, über den Highway. » Wir halten uns schon viel zu lange hier auf.«
Marco warf abwesend einen Blick auf die Landkarten. Ein Straßenatlas von Kalifornien und ein paar kleinere gefaltete Karten. Palm Springs… Victorville & Barstow…
Er erstarrte, als er die dritte Karte im Stapel sah.
Hemet & Perris.
Sein Herzschlag beschleunigte sich. Hemet, Kalifornien.
Mein Gott, wie nah war er an Hemet? Die anderen Karten glitten ihm aus der Hand, als er sich hinkniete und das zerknitterte Papier auf dem Betonboden ausbreitete. Hemet. Da war es. Er tippte mit
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