Return Man: Roman (German Edition)
mechanischen Zählwerk, das bei 20,96 $ stehen geblieben war. Er betrachtete nachdenklich die Ziffern und ließ der Fantasie freien Lauf. Irgendein Mann oder eine Frau hatte in panischer Angst genau hier gestanden, wo er sich jetzt befand– an dieser Pumpe. Wann? In den letzten Tagen der Evakuierung? Vor seinem geistigen Auge sah er, wie dieser Mensch zitternd vor Angst die letzten paar Tropfen absaugte. Er fragte sich, wie weit er mit seiner Einundzwanzig-Dollar-Tankfüllung wohl gekommen war.
In den letzten vier Jahren war er auf all seinen Reisen oft über diese kleinen Überreste von Leben gestolpert. Jedoch hatte er das immer als deprimierend empfunden. Es war, als ob man die erste Seite eines unvollendeten Romans las. Und wenn man dann umblätterte, sah man nur noch Hunderte Seiten unbeschriebenen weißen Papiers.
Hatte der Held überlebt? Oder war er einen schrecklichen Tod gestorben?
Er schauderte– unschlüssig, ob es besser war, das Ende zu kennen oder nicht.
Er hörte Wu im Minimarkt durch die Gänge streifen, das Knirschen von Glasscherben unter seinen Stiefeln und das erstaunlich laute Knistern von Chipstüten. Ein Schild im Fenster pries eine Schachtel Marlboro für 7,59 $ an. Ein Münztelefon hing mit abgerissener Schnur neben der Tür; der schwarze Hörer lag auf dem Betonweg. Ein fettiges Haarbüschel klebte an der Sprechmuschel. Wahrscheinlich hatte jemand den Hörer dazu benutzt, einer Leiche einen Scheitel zu ziehen.
Er wünschte, Wu würde sich etwas beeilen.
Neben dem Telefon lagen ein zerdrückter Kaffeebecher aus Styropor und zehn oder zwölf alte, verwitterte Rubbellose. Sie waren noch nicht aufgerubbelt, wie Marco feststellte. Nur so zum Spaß hob er eins auf. Wüsten-Dollars stand in goldenen Lettern über einem Kaktus von der Form eines Dollarzeichens. Mit dem Daumennagel kratzte er die silbernen Rechtecke ab. Er hatte tatsächlich zwei Dollar gewonnen. Er lachte freudlos und warf das Los weg. Es flatterte wieder auf den Gehweg.
Er spähte in den dunklen Laden und verspürte eine zunehmende Ungeduld. Komm schon, Wu.
Im Minimarkt war es nun still.
In plötzlicher Besorgnis spitzte er die Ohren, hörte aber nichts außer dem An- und Abschwellen seines eigenen Atems. Irgendwo, ein paar Gebäude weiter, krächzte eine Krähe.
» Wu?«, rief er mit gedämpfter Stimme, um keinen unnötigen Lärm zu machen.
Er machte sich am Gepäcknetz des Quads zu schaffen und nahm den Rucksack des bärtigen Soldaten heraus. Hastig überprüfte er den Inhalt. Feldflaschen, Munitionsstreifen, Ferngläser…
Da ist sie ja. Seine Hand schloss sich um die Glock.
Und in diesem Moment schwang die Tür des Minimarkts auf, und Wu kam heraus. Er trug eine Plastiktüte, die er vor Marco auf den mit Ölflecken übersäten Betonboden fallen ließ.
» Es war nicht mehr viel da«, meldete er. Er bückte sich und wühlte in der Tüte. » Aber hier habe ich etwas. Essen Sie das.« Er holte einen uralten Schokoriegel hervor und reichte ihn Marco.
Und nun würgte Marco den letzten Bissen hinunter; er verspürte plötzlich einen starken Brechreiz, doch er unterdrückte ihn ein paar Sekunden lang, und schließlich verging er. Wu hatte sich wieder über die Plastiktüte gebeugt und holte Verbandsmull und Bandagen heraus, während Marco griesgrämig zusah.
» Es gab keinen Alkohol mehr«, sagte Wu beinahe zu sich selbst. » Ich werde Benzin zur Desinfektion verwenden.«
Marco schüttelte den Kopf. Wu bemerkte nun erstmals den abgetrennten Einfüllstutzen, der noch immer dort lag, wo Marco ihn hingeworfen hatte. » Kein Benzin mehr?«, fragte er. In seiner Stimme schwang unüberhörbar Besorgnis mit.
» Kein Tropfen«, sagte Marco. » Das heißt, es gibt noch was– nur dass wir nicht drankommen. Wir bräuchten schon einen schweren Montageschlüssel, um die Ankermuttern am Boden zu lösen.«
Wu verzog das Gesicht. » Der Tank des Quads ist noch halb voll. Damit werden wir nicht mehr weit kommen.«
» Schon richtig, aber wie weit müssen wir überhaupt noch fahren? Haben Sie eine Ahnung, wo wir jetzt sind?«
» In Salton, Kalifornien. Laut dem Gewerbeschein hinter dem Tresen.«
Mit Papierhandtüchern wischte Wu sich das Blut vom Gesicht und den Armen, bis er so sauber war, wie das ohne Wasser eben möglich war. Dann legte er den Verbandsmull auf die nässende Wunde in der Schulter. Er stieß ein Zischen aus, als er das Material andrückte. Ein roter Kreis erschien im weißen Rechteck. Wu wickelte den Verband
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