Return Man: Roman (German Edition)
Seitenaufprall umgerissen. Es gelang ihm gerade noch, das Gleichgewicht zu bewahren, und er sah zwei dicke Beine, elefantöse Stampfer mit Geschwüren und dicken Adern, unter dem linken Rand des Kanus. Eine dicke Leiche hatte ihn von der Seite angegriffen und hing nun wie eine Klette an ihm; sie drückte mit ihrem ganzen Gewicht gegen das Boot und zwang Marco, seitlich in den See auszuweichen. Erst einen Schritt, dann zwei Schritte, drei– das Wasser stieg ihm schon bis zu den Schienbeinen.
Noch tiefer, und er wäre im Arsch.
Verzweifelt wuchtete er das Boot mit den Schultern nach oben. Er bekam eine Hand frei und packte das Messer, das noch immer im Rumpf steckte; er riss es heraus und rammte die Klinge mit einer heftigen, fließenden Bewegung in den aufgedunsenen, verrotteten Bauch neben dem Kanu. Er drehte das Messer herum…
…und schlitzte dem toten Mann den Bauch auf, sodass die Eingeweide herausquollen. Dann tranchierte das Messer noch den Brustkorb und entglitt schließlich Marcos Griff. Weg war es. Die Leiche stieß ein Bellen aus, als ihre Eingeweide aufs Ufer fielen. Perplex ließ sie das Boot los und machte einen Hechtsprung, um die Innereien wieder aufzusammeln. Marco rannte aus dem Wasser ans Ufer zurück.
Das schreckliche Heulen wurde mit zunehmender Entfernung immer schwächer. Er lief schnell weiter. Obwohl er schon ziemlich ausgepumpt war, wollte er es nicht riskieren, das Tempo zu verlangsamen. Nach weiteren hundert Metern wurden seine Anstrengungen dann belohnt. Er hatte den Kleiderstapel und die Glock wiedergefunden.
» Noch mal Glück gehabt«, sagte er mit rauer Stimme.
Schwer atmend beugte er sich vornüber, und es gelang ihm, das Kanu abzusetzen, ohne darunter zusammenzubrechen. Das Boot klatschte ins flache Wasser und scheuchte dieselben Elritzen auf, die Roark vor einer Stunde gejagt hatte.
Er peilte hastig die Lage. Wie er schon vermutet hatte, waren die Leichen schon ziemlich weit zurückgefallen; sie verfolgten ihn zwar noch, doch der langsame Vormarsch der kompakten Horde war nicht halb so gefährlich wie eine Umzingelung. Er hatte überlebt. Und er würde auch in Zukunft überleben. Zitternd nahm er die Glock und die Kleider auf, steckte die wunden Füße in die Stiefel, und dann machte er kehrt und lief in nördlicher Richtung zu den Bäumen.
Seinen früheren Weg fand er ohne Schwierigkeiten wieder. Am Waldrand hielt er noch einmal inne und drehte sich um.
Der Strand wimmelte nur so von toten Männern und Frauen. Arme und Beine zappelten wie die Glieder hässlicher Marionetten, als sie ans Ufer torkelten. Männer und Frauen, sagte Marco sich. Manchmal neigte man dazu, das zu vergessen. Er fragte sich, wie viele Familienangehörige und Freunde in den Sicheren Staaten hatten, die um sie trauerten, krank vor Sorge waren und sich bang fragten, wo sie jetzt wohl waren.
Mein Gott, was war die Welt nur für ein beschissener Ort geworden. Wo die Toten so lebendig waren und die Lebenden sich so tot fühlten. Er bezweifelte, dass man das jemals wieder rückgängig zu machen vermochte.
Aber verdammt, er konnte zumindest helfen, das Beste aus dieser Situation herauszuholen.
Mit grimmigem Gesichtsausdruck lief er den Berg hinauf, am verkrüppelten Baum und dem abgeplatteten Felsbrocken vorbei in den Nebel und die Schneise im Farnwald. Oben auf dem Hochsitz schloss er die Zeltplane und war wieder sicher wie in Abrahams Schoß. Er lauschte dem Stöhnen der Toten, die durch den Wald zogen, und schließlich verhallte das Geräusch, als die Horde seine Spur verlor. Und während er darauf wartete, dass sie endgültig verschwanden und dorthin gingen, wohin ihre gequälten Seelen sie lotsten, hielt er Roarks Ring– ja, er war sich jetzt völlig sicher, dass er Roark gefunden hatte– und las wieder die Worte, die in die Innenseite graviert waren.
Gemeinsam bilden wir einen Kreis des Lebens. Deine Joan.
Aufbau der Fleisch-Falle
2 . 1
» Noch etwas«, sagte Joan Roark. Ihr körniges Bild, das aus den Sicheren Staaten übertragen wurde, erschien auf dem Computerbildschirm auf Marcos Schreibtisch. Er saß im Dunkeln in seinem Arbeitszimmer; es war noch eine Stunde bis zur Morgendämmerung. Um Mitternacht war er in die Basis zurückgekehrt– in das Haus, das vor der Auferstehung ein Jahr lang Danielle und ihm gemeinsam gehört hatte. Arme und Beine schmerzten vom Fieber, das ihn auf der Reise befallen hatte. Monatelange Unterernährung und Schlafmangel hatten sein Immunsystem radikal
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