Return Man: Roman (German Edition)
worden. Die alten Regeln galten nicht mehr, und die neuen mussten sie erst noch lernen.
Brutale neue Regeln.
Niemand wusste, was nach der Auferstehung zu tun war, wie man sie emotional bewältigen und wie man sich den neuen Lebensumständen anpassen sollte. Die Evakuierten Staaten waren eine menschenleere Ödnis; die Sicheren Staaten ein Hexenkessel– durch fünfzig Millionen Flüchtlinge aus dem Westen überfüllt, die Wirtschaft am Boden, nicht genug Arbeitsplätze und Nahrung für alle. Der Verlust der kontaminierten landwirtschaftlichen Anbaugebiete zwischen dem Mittleren Westen und Kalifornien war eine Katastrophe gewesen. Die halbe Bevölkerung lebte von Sozialleistungen wie Essensmarken, Lastenausgleich oder Grundsicherung; in den Monaten nach der Grenzschließung hatte die Regierung Garrett Hilfspakete im Wert von mehreren Milliarden Dollar bewilligt. Doch Garrett war nun nicht mehr im Amt; die Neuen Republikaner waren an die Regierung gewählt worden und schraubten die Hilfsprogramme zurück.
Es war überwältigend… und zugleich doch deprimierend. Und oft wandten Marcos Klienten sich Rat suchend an ihn, als hätte er irgendeine geheime Einsicht in die Auferstehung – weshalb sie das getan hatte, was sie denn von ihnen wollte–, nur weil er der Mann vor Ort war, der ihr da draußen, wo alles begonnen hatte, Auge in Auge gegenübergestanden hatte. Und am Ende des miserablen Tages sollte er diese armen Leute quasi zu Bett bringen, ihnen einen Gutenachtkuss geben und ihnen sagen, dass alles schon gut werden würde.
Ich als Vaterfigur. Da hat das Universum sich aber einen schlechten Scherz mit mir erlaubt.
» Habe ich auch das Richtige getan?«, hatte Joan Roark gefragt.
Er seufzte, und dann sagte er ihr beinahe die Wahrheit– dass er sich nicht sicher sei, ob es darauf überhaupt ankam oder ob sie sich dann besser fühlen würde. Aber er mochte Joan. Also sagte er ihr stattdessen, was sie hören wollte, und dann nickte er bedächtig. Bedächtig bedeutete in diesem Fall ernsthaft. Als ob er niemals lügen würde.
» Ich glaube, dass Sie das Richtige getan haben«, sagte er. » Ja.«
Daraufhin begann sie wieder zu weinen und hielt sich die Hand vor den Mund. Ihre Wangen bebten. Ein einkarätiger Diamant funkelte an ihrem Ringfinger.
» Sie haben es sich nicht leicht gemacht«, räumte er ein. » Aber Sie haben Ihrem Mann Frieden geschenkt. An meiner Stelle– ich meine, wenn ich derjenige da draußen wäre– hätte ich mir gewünscht, dass Sie genauso gehandelt hätten.«
Sie schüttelte den Kopf. Er war sich nicht sicher, ob sie mit dem, was er gerade gesagt hatte, nicht einverstanden war oder ob sie nur selbst darüber erschrocken war, mit welcher Leichtigkeit sie das akzeptierte.
» Joan«, sagte er mit leiser Stimme. » Hören Sie mir zu.«
Sie hielt inne und sah ihn an; und er fragte sich, wie er wohl auf ihrem Bildschirm in den Sicheren Staaten aussah– ob er mehr als ein bloßer Schemen war, der aus seinem dunklen Büro projiziert wurde. Konnte sie sein fiebriges Gesicht sehen, die kalten Schweißtropfen? » Sie haben seine Seele erlöst«, sagte er. » Er ist dorthin zurückkehrt, wohin auch wir irgendwann voraussichtlich gehen werden. Als es vorbei war, wirkte er… friedlich.«
Vielleicht glaubte sie ihm. Vielleicht kam es aber auch gar nicht darauf an, dass sie ihm glaubte; vielleicht genügte es ihr auch schon zu hören, dass jemand diese Worte sagte. Sie lachte, und der Schleimbrocken fiel aus der Nase auf die Lippe.
» In Ordnung«, sagte sie und sah ihn mit einem Kopfnicken an.
» Das ist die Wahrheit.« Die Zunge klebte ihm förmlich an den Zähnen, als er das sagte. Zumindest die halbe Wahrheit.
» In Ordnung«, sagte sie noch einmal. » Vielen Dank.« Sie zog ein Papiertaschentuch außerhalb des Blickwinkels der Webcam hervor und putzte sich die Nase. » Entschuldigung. Ich muss bei jedem Film weinen, auch bei schlechten. Sogar bei Komödien. Das hat Andy jedes Mal verrückt gemacht.« Sie zuckte die Achseln. » Wie dem auch sei. Vorbei ist vorbei.«
Er schluckte, und der Speichel rann wie Säure durch seinen wunden Hals. Die paar Sekunden des Schweigens schienen beiden als Abschiedsgruß zu genügen. » Alles Gute«, war alles, was er dann noch sagte.
Sie rang sich ein Lächeln ab. » Ihnen auch alles Gute, Mr. Marco.«
Er wartete noch einen Moment. Der Instinkt sagte ihm, dass es wichtig für Joan Roark war, endgültig damit abzuschließen– dass sie die Hand
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