Return Man: Roman (German Edition)
Pfotenabdrücke überquerten den Pfad und verschwanden im Unterholz. Er sondierte das Terrain.
» Alles klar«, sagte er schließlich. » Wir sollten jetzt verschwinden.«
» Doktor.«
Er registrierte einen feierlichen Ton in Wus Stimme. Der Sergeant stand am Rand des Teppichs im Durchgang zwischen dem Haupt- und Vorraum.
» Was ich Ihnen über meinen Vater und die Toten erzählt habe…«, sagte Wu, verstummte kurz und fuhr dann fort: » …ich wollte Ihnen damit Trost spenden.«
Diese Bemerkung kam völlig unerwartet für Marco. Er blinzelte verständnislos.
» Ich meine damit«, sagte Wu, » dass Ihre Tochter nicht von Ihnen gegangen ist. Sie befindet sich auch auf dieser Reise– sie begleitet Sie und wacht über Sie. Sie legt beim Universum ein gutes Wort für Sie ein, auch wenn Sie, wie Sie sagen, nicht daran glauben. Sie ist der Grund, weshalb Sie überhaupt bis heute überlebt haben.«
Marco wurde blass. Eine Hitzewelle stieg in ihm auf und ließ ihm Tränen in die Augen treten.
Er erinnerte sich, wie er an jenem Tag mit Danielle am Grab gestanden hatte.
Das können wir nicht machen, Henry. Wir können sie doch nicht hierlassen. So ganz allein.
Delle. Baby, wir müssen gehen. Ich verspreche dir, dass sie nicht allein ist.
» Ich würde das nur zu gerne glauben«, gestand er schließlich mit belegter und heiserer Stimme.
Wus zerschlagenes Gesicht schaute ihn im trüben Licht an. Er lächelte nicht– doch zum ersten Mal, seit Marco sich erinnern konnte, wirkte er zumindest nicht unfreundlich. Der Sergeant nickte und richtete mit einem resoluten Griff die Messer am Gürtel aus, womit er Marco bedeutete, dass das Gespräch beendet war. Er schob sich an ihm vorbei zur Tür.
» Wir sollten uns lieber beeilen«, sagt er. » Die Hunde kommen vielleicht noch einmal zurück.«
» Ja.« Marco rieb sich den Nacken und drehte sich ein letztes Mal zu den Kirchenbänken um. Die fromme Leiche hatte sich immer noch nicht bewegt. Sie würde bis in alle Ewigkeit hier sitzen bleiben und darauf warten, dass ihre Gebete erhört würden.
Kurz wünschte er sich, er würde den Namen der Leiche kennen.
Vielleicht würde er eines Tages bei der Erledigung eines Auftrags hierher zurückkehren.
Friede sei mit dir. Das hatte er immer als Kind gesagt, bevor er mit seinem Vater die Kirche verlassen hatte. Friede sei mit dir. Und mit dir auch.
Sie gingen nach draußen. Die Sonne schien nun hell, und die Wolken hatten sich verzogen. Die Männer liefen den gewundenen Weg entlang und achteten mit allen Sinnen auf irgendwelche Anzeichen von streuenden Hunden oder Leichen. Einmal blickte Marco noch sehnsüchtig zu dem Hügel mit Hannahs Grab hinauf und wurde von der Vorstellung gequält, dass er Danielle nur um ein paar Minuten verpasst hatte. Was, wenn sie kurz nach meinem Verschwinden aufgetaucht ist?, fragte er sich und verdrängte diesen Gedanken gleich wieder. Er wusste, dass er sich nur verrückt machen würde.
Als sie um die Kurve bogen, sah er hundert Meter vor sich das Quad. Es stand noch genauso da, wie sie es verlassen hatten. Die Straße verlief schnurgerade durch einen klaustrophobischen Tunnel aus tief hängenden Kiefernästen und Gras auf beiden Seiten. Er zögerte kurz und fragte sich, ob er nicht in eine perfekte Falle lief, wobei das Quad als Köder diente… aber was zum Teufel sollte er sonst tun? Er rannte die letzten hundert Meter wie ein Sprinter zur Ziellinie in der Gewissheit, dass die Hunde jeden Moment durch die Bäume brechen und über ihn herfallen würden. Doch er erreichte das Quad völlig unbeschadet.
» Wir müssten jetzt in Sicherheit sein«, sagte Wu, der ihn eben erst einholte. » Ich habe aus der anderen Richtung Gebell gehört und etwas, das wie eine kreischende Leiche klang. Die Hunde haben wohl etwas zu fressen gefunden.«
» Der arme tote Kerl. Sogar ich habe Mitleid mit ihm.«
» Werfen Sie einen Blick auf die Karte«, sagte Wu mit versteinertem Gesicht. » Wir müssen wieder auf den richtigen Weg zurück.«
Welche Regung auch immer Wu in der Kapelle erweicht hatte– sie war verschwunden, wie Marco feststellte. Der Sergeant hatte wieder seinen strengen soldatischen Habitus angenommen.
» Alles klar«, sagte Marco. Nach dem Aufenthalt in der düsteren Kirche wurde auch er durch die frische, nach Gras riechende Luft und die optimistisch stimmende Sonne wieder mit neuer Energie erfüllt. Er holte die Landkarte aus seiner Gesäßtasche und breitete sie auf dem Sitz des Quads aus.
»
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