Return Man: Roman (German Edition)
Wu gewandt. » Wir nehmen die 215, die Interstate nach Norden. Wir haben keine Zeit mehr, uns auf Nebenstraßen zu verzetteln oder gar zu riskieren, dass wir uns verfahren.«
» Einverstanden«, rief Wu von hinten. » Die kürzeste Route.«
In Wirklichkeit war der Einbruch der Nacht jedoch Marcos geringste Sorge. Er hatte das untrügliche Gefühl, dass irgendwo hinter dem Quad– oder schon vor ihm?– die Reiter das gleiche Rennen fuhren und Roger jagten. Sie würden wegen des Todes des bärtigen Soldaten auf Rache sinnen. Sie werden mich zwingen, Roger zu suchen. Und dann werden sie mir die Kehle aufschlitzen. Er vermochte das Bild von Monsterschädel einfach nicht abzuschütteln, dem muskelbepackten Anführer mit dem wulstigen, knochigen Kopf, der ihn aus den Tiefen seines Unterbewusstseins anstarrte wie ein halb im Unterholz des Dschungels verborgener Jäger. Der Mann machte ihm mehr zu schaffen, als er Wu gegenüber zugeben wollte.
Dabei war Monsterschädel noch nicht einmal das größte Problem.
Was geschah, falls die Reiter diesen tödlichen Wettbewerb gewannen? Wenn sie sich Rogers wertvolles Blut schnappten– was dann, bei Gott?
Wu hatte ihm die Antwort schon gegeben. Die Reiter würden Rogers DNA an Terroristen, Iraner und Irre verkaufen, die einen Impfstoff daraus gewinnen wollten. Und weiß Gott, was sie mit der Formel anstellen würden, wenn sie sie erst einmal hatten– auf dem Schwarzmarkt verhökern oder einen Staat damit erpressen. Oder vielleicht würden sie auch nur ihren Arsch retten, während alle anderen auf dem Planeten verrotteten.
Scheiße, das sind doch keine Menschenfreunde, dachte er. Mach jetzt nur keinen Mist, Henry, oder die Welt hat ganz schlechte Karten.
Er wurde blass. Es stand so viel auf dem Spiel, dass es ihm geradezu irreal erschien. Er hatte furchtbare Kopfschmerzen wegen des Schlafmangels, des Nahrungsmangels und vor allem wegen der gottverdammten Sorgen– als hätte man seinen Kopf in einen Schraubstock gespannt, der jede Minute etwas fester angezogen wurde.
Hinter Hemet war das Quad an einem heruntergekommenen Drogeriemarkt vorbeigerast. Tote Kunden strömten in beide Richtungen durch die zertrümmerten Eingangstüren des Geschäfts. Marco seufzte.
Ein Fläschchen Advil wäre es beinahe wert gewesen, den Kampf gegen diese Leichen aufzunehmen.
Abgelaufenes Advil, sagte er sich dann. Würde auch nichts helfen.
Außerdem würde ihm Wu ganz bestimmt keinen weiteren Zwischenstopp zugestehen, denn die Sonne stand schon im Westen und färbte den Himmel blutrot.
Und just in diesem Moment winkte zur Rechten das blaue Hinweisschild für die I-215. Und wie ein Spieler, der die Würfel rollen ließ, bog er in der Hoffnung, Zeit zu sparen, auf die Interstate ab.
Wie deprimierend leer sie anfangs erschien. Wie ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit. Ausgebleichte Lebensmittelverpackungen und vermoderte Zeitungen hatten sich an den Betonbegrenzungen zwischen den Fahrbahnen angesammelt; die Straße, die einst freie Fahrt für freie Bürger versprochen hatte, war nun zu einer dreispurigen Müllhalde verkommen. Braunes Unkraut wucherte in Rissen im Straßenbelag, und überall lagen orangefarbene Leitkegel mit weißen Streifen von Autobahnbaustellen herum. Der Highway zog sich als ein langer, gerader Streifen durch die stumme Landschaft, bis er am Horizont zu einem Punkt verschmolz. Er ließ den Blick in die Ferne schweifen, sah aber nichts Bedrohliches– keine Quads, die mit feuernden Bordwaffen gen Süden rasten. Auch keine Geier.
Das ist das Gute an Highways, dachte er. Man erkennt Probleme schon aus der Ferne.
Das Dumme ist nur, dass die Probleme einen auch erkennen.
Er schüttelte den Kopf. Mach dich nicht verrückt. Gib einfach Gas und bring es hinter dich. Wenn du die Berge hinter dir gelassen hast, kannst du auch wieder auf Nebenstrecken ausweichen.
Eine Viertelstunde lang fuhr er nach Norden, und er verlor jedes Mal fast die Nerven, wenn er ein anderes Motorengeräusch hörte. Aber es war immer nur das Echo seines eigenen Quads, das von einer Autobahnbrücke oder den hohen Bergen widerhallte. Einmal bremste er fast erschrocken, als er eine Straßensperre aus Militärfahrzeugen der Reiter zu sehen glaubte– nur um dann peinlich berührt zu erkennen, dass es sich um keine Straßensperre und schon gar nicht um Reiter handelte, sondern nur um drei explodierte und ausgebrannte Autos, die auf der Seite lagen.
Gott sei Dank hatte er nicht auf die Bremse getreten.
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