Return Man: Roman (German Edition)
wie einen Ganzkörperschild vor sich. Inzwischen hatten die Leichen, die von rechts kamen, die Treppe erklommen. Doch er ignorierte sie und attackierte stattdessen mit einem albernen schrillen Schrei, als wäre er wirklich wieder ein zehn Jahre alter Junge, mit vorgehaltener Matratze die Häftlinge, die sich von links näherten. Vier Schritte, fünf, und ihm wurde die Luft aus der Lunge gepresst, als wäre sie eine Papiertüte. Er rammte die erste Leiche– er sah den toten Mann nicht einmal, sondern spürte nur die Masse eines Körpers auf der anderen Seite der Matratze. Er verspürte einen stechenden Schmerz in der Schulter.
Scheiße. Das tat weh.
Er stürmte weiter vorwärts und erinnerte sich nun auch wieder, weshalb er Football damals aufgegeben hatte– jetzt fang bloß nicht wieder an zu heulen, ja? –, doch die Spieltaktik hatte Erfolg. Die Leiche, ein Mann mit eingefallener Brust, fiel auf den Rücken, und Marco sprang mit einem weiten Satz über sie hinweg– das hatte er auch beim Football gelernt–, um sich den Händen zu entziehen, die ihn an den Knöcheln packen wollten. Er hatte sich kaum vom ersten Aufprall erholt, als auch schon der zweite erfolgte– mit der nächsten Leiche in der Reihe. Diesmal schleuderte er die Leiche gegen das Geländer des Laufstegs. Als Marco an ihr vorbeirannte, versuchte der verrottete Häftling, ihm in den Rücken zu springen…
…doch in diesem Moment kam Wu mit seiner Matratze angestürmt und rannte die Leiche um, sodass sie auf den Hintern fiel.
Marco zog eine Augenbraue hoch. » Gut gemacht. Sie haben es soeben in die Uniauswahl geschafft.«
Die Matratze wackelte in seinen Händen, als eine Leiche gegen die andere Seite schlug; er hörte, wie Gewebe mit einem zischenden Geräusch riss, und wurde sich bewusst, dass der tote Mann in die Matratze gebissen hatte.
Er verstärkte den Griff. Lass sie jetzt nur nicht fallen. Sonst bist du im Arsch.
» Los!«, rief er.
Er ging etwas in die Knie und stürmte vorwärts. Er legte die ganze Kraft in die Beine, als ob er ein Auto anschob, und schleuderte die matratzenfressende Leiche aus dem Weg und dann mit Schwung die nächste Leiche und die nächste und wieder die nächste. Die toten Häftlinge schlugen gegen das Geländer, ohne dass sie imstande gewesen wären, an das leckere Fleisch hinter dem gepolsterten Schild zu gelangen. Wu folgte ihm und gab den schon angeschlagenen Leichen mit kräftigen Schlägen den Rest. Marco sprang über ein zuckendes Gewirr toter Gliedmaßen, als absolvierte er einen Hürdenlauf.
» Wir sind fast da«, sagte er atemlos halb zu Wu, halb zu sich selbst.
Sie mussten noch an fünf Zellen vorbei, dann hätten sie das Ende des Laufstegs erreicht. Dort führte wieder eine Treppe nach unten.
Drei Zellen… zwei…
Er walzte die nächste Leiche nieder und wollte schon einen Triumphschrei ausstoßen…
…doch dann verging ihm die Feierlaune schlagartig, als aus der letzten Zelle die größte gottverdammte Leiche wankte, die er jemals gesehen hatte. Zweihundert Kilo schwer und so breit wie der verfluchte Laufsteg. Ihr Kopf glich dem von Jabba the Hutt, und das Gesicht war mit einem dichten, bluttriefenden Bart bedeckt.
Das ist gar kein Bart, wurde Marco sich dann bewusst, und ihm wurde speiübel, während er wie ein wilder Stier weiterrannte. Eine tote Ratte hing der Leiche aus dem Mund, zwischen den Zähnen festgeklemmt…
Marco kollidierte frontal mit dem Riesen. Er verspürte einen stechenden Schmerz, sein Brustkorb wurde gestaucht und drohte die Lunge zu zerquetschen. Die Matratzenfedern wurden zusammengedrückt. Und dann prallte auch noch Wu gegen seinen Rücken, sodass er nun wie in einem grotesken Sandwich zwischen den Matratzen eingeklemmt war– fertig zum Verzehr. Doch dann geriet die fette Leiche ins Wanken und kippte um. Marco und Wu gingen mit der monströsen Qualle zu Boden und rollten auf die freie Seite des Laufstegs. Die Männer schlugen mit den Matratzen auf dem Gitterrost auf und blieben darauf liegen, alle viere von sich gestreckt. Keuchend lagen sie neben dem feisten Mann auf dem Boden.
Hinter ihnen– dort, wo sie hergekommen waren– war der Laufsteg schon wieder brechend voll. Die Leichen kamen in einer schier endlosen Prozession aus der Dunkelheit die Treppe herauf.
Wu kam mühsam wieder auf die Füße und fasste sich an die Schulter. » Was jetzt, Coach?«
» Wir müssen zur Treppe, die wieder nach unten führt«, sagte Marco. » Kommen Sie mit, hier geht’s
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