Return Man: Roman (German Edition)
eine Lebenskraft«, hatte er einmal gegenüber Danielle bemerkt, als sie nach einem Abendessen mit ihren kalifornischen Freunden auf dem Heimweg waren. Sie hatten sich allen Ernstes über Chakras und Energieheilung unterhalten– so absurde Konzepte, dass er wohl laut gelacht hätte, wenn er damit nicht ihre Gefühle verletzt hätte. Danielles Glaube an die Spiritualität machte nämlich einen Teil ihres Charmes aus; einer von vielen Gründen, weshalb er sie liebte. Und sie fand ihn anscheinend immer genauso charmant– genauso der Realität entrückt–, wenn er seine Glaubenssätze artikulierte. » Der elektrophysiologische Strom von hundert Milliarden Neuronen«, sagte er. » Das ist das Geheimnis des menschlichen Lebens.«
» Jawohl, Herr Doktor«, antwortete sie vom Rücksitz aus sarkastisch, beugte sich vor und zwickte ihm ins Ohr. Sie verstand es, ihm mit einer einzigen Geste ihre Liebe und Missbilligung zugleich zu bekunden. » Aber das ist dein Problem, mein Lieber. Du willst es immer ganz genau wissen. Hast du denn gar keinen Sinn für Magie?«
» Tut mir leid«, entgegnete er mit einem sardonischen Grinsen. » Aber die Seminare für Magie waren an der Uni schon alle belegt. Ich musste deshalb auf Medizin ausweichen.«
» Du Blödmann«, sagte sie lachend und biss ihm scherzhaft in die Hand.
Doch wenn Marco auch mit Seelen nichts anfangen konnte, an Identität glaubte er auf jeden Fall. Die Summe der persönlichen Erfahrung, alles, was man jemals getan oder gedacht hatte– Erinnerungen, die magnetisch in Gehirnzellen gespeichert waren. Identität war– bei allen Wechselfällen des Lebens– eine Konstante, isoliert wie ein geschlossener Trakt einer Bibliothek mit vergilbten und muffig riechenden Büchern. Identität war ein physikalisches und anatomisches Phänomen. Kein spirituelles.
Andrew Roark war gestorben. Und doch war er noch immer Andrew Roark und würde es auch immer sein, bis sein Körper bis hinunter auf die zelluläre Ebene zerfallen war. Seine Identität lag einfach in seiner Leiche begraben.
Wie hätte man es also richtig machen sollen? Marco erinnerte sich an eine Frau in Florida, ein paar Jahre vor der Auferstehung – sie war Opfer eines Autounfalls geworden und hatte jahrelang im Krankenhaus im Koma gelegen; aber ihre Augen waren geöffnet gewesen, und manchmal hatte sie sich sogar bewegt. Vor Gericht entbrannte ein heftiger Streit bezüglich der Interpretation ihrer Patientenverfügung, und es entspannten sich lautstarke Debatten, ob ihr geschädigtes Gehirn überhaupt noch ein Bewusstsein besaß oder nicht. Schließlich wurden ihre lebenserhaltenden Geräte jedoch abgeschaltet. Marco, der das an jenem Morgen auf CNN verfolgte, nippte an seinem Kaffee und war erleichtert, dass dieser ganze Kladderadatsch nicht im Cedars-Sinai passiert war. Danielle saß ihm am Frühstückstisch gegenüber, schnitt sich eine Scheibe von einer Melone ab und verfolgte ein Interview mit dem deprimierten Ehemann der Frau.
» Ich hoffe nur, dass dir nie so etwas passiert«, sagte Danielle mit feuchten Augen. Er fragte sich, wen sie überhaupt meinte– den Mann oder die Frau. Doch dann verzehrte Danielle ihre Melone und brach zu einem Vorsprechen auf, und er fragte sie später auch nicht mehr danach.
Wenigstens wusste er nun, was für eine tragische Figur er heute darstellte. Und nur aus dem Grund, weil es jetzt seine Entscheidung war– ob der Stecker gezogen oder nicht–, bekannte er sich zu seiner wahren Einstellung.
Manchmal war Euthanasie doch die richtige Entscheidung.
Er musste wieder an Joan Roark denken. An ihr kreidebleiches, ungeschminktes Gesicht, an die Haut, die an der Nasenwurzel zwischen den Augenbrauen abschuppte. Er hoffte, dass es ihr gut ging. Er hoffte auch, dass sie genug Geld hatte, um ein vernünftiges Leben zu führen; denn die Guthaben vieler Leute waren draußen im Westen eingefroren und lagen nutzlos in dunklen Sparkassen und Kreditinstituten herum. Zwar waren Vermittlerbanken in den Sicheren Staaten eingerichtet worden, um Gelder zu transferieren, doch das war ein langsamer und bürokratischer Vorgang. Hoffentlich hatte Joan ihr Geld noch retten können.
Gottverdammt. Weshalb verschwendete er überhaupt noch einen Gedanken an Joan Roark? Wenn er den Computer herunterfuhr, nachdem der Auftrag erledigt und abgeschlossen war, verschwand das Leben des Klienten normalerweise genauso schnell aus seinem Bewusstsein wie die Bildschirmanzeige. Der Fall war abgeschlossen, und er
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