Return Man: Roman (German Edition)
schloss die Augen und atmete tief ein; Marco vermochte fast in sein Bewusstsein zu sehen: ein bunter Reigen aus blauem Himmel und grünem Gras und weitem Land. Das Leben außerhalb der Folterkammer, die er für sich selbst eingerichtet hatte. Und dann war Roger plötzlich wieder hellwach.
» Ja«, sagte er dann. » Ich werde mit dir kommen. Das werde ich. Wenn es dir nichts ausmacht, hier zu warten, du und der Sergeant, hole ich noch meine Unterlagen und natürlich den Impfstoff…«
WUSCH .
Ein silberner Schemen schoss von rechts durch Marcos Blickfeld. So schnell, dass er keine Zeit hatte zu reagieren, keine Zeit, das Ding abzufangen oder abzulenken. Er konnte nur zusammenzucken, als Ballards Kehle aufriss und in zwei gummiartige rosige Lappen gespalten wurde– einer oben, einer unten. Einen Moment lang grinste die Wunde grotesk wie der Mund eines Mutanten, dann stieß Ballard einen gurgelnden Laut aus und umklammerte seinen Hals, während ein unheimlicher roter Wasserfall kaskadenartig über seine dürren Finger strömte. Marco riss verblüfft die Augen auf, und während er die Geschehnisse noch verarbeitete, stieg Panik in ihm auf.
Nein …
Ballard verdrehte die Augen in den knochigen Höhlen, und seine Lippen zuckten. Er sah aus wie ein sterbender Fisch, als der Mund sich mit leisen Schmatzgeräuschen öffnete und schloss. Er wollte etwas sagen– wollte Marco vielleicht noch eine letzte wissenschaftliche Erkenntnis mit auf den Weg geben, eine ultimative Entdeckung, die er durch die Linse seines Todes sah–, doch stattdessen quoll nur eine klebrige rosige Blase aus ihm heraus. Die Pupillen verengten sich, und er ging zuckend zu Boden; aus der Schlagader spritzte Blut, und sein Körper glich einer bebenden Insel in einem sich ausbreitenden roten Meer.
Scheiße nein!
Marco konnte sich nicht bewegen– er war durch den Schock wie gelähmt, seine Beine ignorierten die Schreie des Gehirns–, doch dann wurde die Blockade auf einmal aufgehoben, und er taumelte entsetzt zurück; er prallte gegen den Rand des Operationstisches und rutschte aus. Er ruderte mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten, aber nicht schnell genug; mit einem überraschten Schrei landete er auf dem Hintern, die M9 fiel ihm aus der Hand und schlitterte rotierend über die Fliesen.
Das darf doch nicht …
Vielleicht zwei Meter entfernt stand Wu über Ballards reglosem Körper. In seiner Hand schimmerte das sichelförmige Messer; die Klinge hatte einen roten Rand. Marco sah erstaunt, wie sich an der Spitze ein roter Tropfen sammelte und wie eine grausame Träne auf den weißen Boden fiel.
» Wu«, sagte er atemlos. » Nein…«
Wu bedachte ihn mit einem gemessenen Blick, dann bückte er sich und hob die M9 auf, die dicht vor seinen Füßen lag.
» Es tut mir leid, Doktor«, sagte er. Das klang beinahe so, als meinte er es wirklich ernst. Er steckte das Messer in die Scheide und griff mit der linken Hand in seine Weste. Dann nahm er die Ampulle mit dem Gummistopfen aus dem Regal. Der Impfstoff. Wu hielt ihn in die Höhe. » Ich habe, weshalb ich hergekommen bin.«
Weshalb bist du hergekommen? Marco wurde blass und verspürte wieder Übelkeit. Und dann begriff er endlich.
Natürlich … ich bin ein verdammter Idiot.
Er war viel zu sehr mit seinen eigenen Problemen beschäftigt gewesen, um das kommen zu sehen– auch wenn es noch so offensichtlich gewesen war. Verdammt, Wu hatte ihn im Zug sogar noch gewarnt – dass der Impfstoff der Preis sei, der Joker in diesem Spiel zwischen Nationen. Roger Ballard? Nur ein gesichtsloser kleiner Bauer in diesem Schachspiel.
Genauso wie ich, wurde Marco sich bewusst. Doch sein Zorn überwog die Angst.
Er verspürte ein flaues Gefühl im Magen. » Sie hätten ihn nicht töten müssen.«
Wu starrte ihn nur an. » Töten ist mein Handwerk, Doktor. Das habe ich Ihnen doch schon gesagt.«
» Er hätte weiterarbeiten und das Heilmittel finden können.«
» Heilmittel?«, sagte Wu spöttisch. » Er war wahnsinnig. Das Gehirn war schon beeinträchtigt– Sie haben es doch selbst gesehen. Wir haben auch in China hervorragende Wissenschaftler. Mehr als den Impfstoff brauchen sie nicht.«
Nach Wus Worten trat eine Totenstille im Labor ein, die eine ganze Weile anhielt.
Und dann hallte ein Wort in Marcos Bewusstsein wider. China.
Er runzelte die Stirn.
China …
Wu wusste Marcos Gesichtsausdruck richtig zu deuten und antwortete ihm mit einem kaum merklichen Kopfnicken. Mit dieser minimalistischen
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