Return Man: Roman (German Edition)
rechten Knie auf dem Boden. Er lehnte mit schlaff baumelnden Armen am Arbeitstisch. Seine Wangen waren kreidebleich, und er wirkte nun klein und wie eine Puppe. Die Bisswunden hatten sich schon purpurn verfärbt, was auf den Ausbruch der Krankheit hindeutete, und die Haut an den Wundrändern war spröde wie Pergament. Er lächelte Marco wissend an.
» Ich war unvorsichtig«, sagte er und betonte das Wort mit bitterer Selbstkritik.
Gequälte Schreie hallten im Korridor vor dem Labor wider– sie waren nun schon sehr nah.
» Wie zornige Hornissen«, bemerkte Wu. Seine Stimme zitterte.
Auf dem Bildschirm war zu sehen, dass die Toten die Krankenstation gestürmt hatten. Der Monitor wurde von tausend verrottenden Kannibalen ausgefüllt, die sich in den Korridoren drängten. Sie waren noch etwa fünfzehn Meter vom Labor entfernt, vielleicht auch weniger. Voller Entsetzen warf Marco einen Blick auf den Eingang– er wusste, dass in wenigen Sekunden schwankende Leiber durch die Tür fluten würden. Verweste Gesichter, klauenartige Hände zum Herausreißen von Fleisch und gnadenlos zuschnappende Kiefer.
Er ging einen Schritt auf Wu zu und blieb dann stehen. Unmöglich.
Mit ihm würde er nie lebend hier rauskommen. Wu wurde gebissen und ist schon so gut wie tot …Aber vielleicht würde der Impfstoff helfen? Scheiße!
Die Leichen waren nur noch etwa drei Meter von der Tür entfernt.
» Doktor.« Wus Stimme drang ihm an die Ohren und richtete ihn innerlich auf. Marco drehte sich zu dem gefallenen Mann um.
» Sie sollten jetzt ganz schnell verschwinden«, empfahl Wu ihm.
Der Spruch war wie ein Segen, wie eine Erlösung. Schlagartig hatten sich alle Zweifel zerstreut; beide Männer wussten, was sie zu tun hatten. Marco nickte dankbar. » Es tut mir leid«, murmelte er und rannte mit grimmigem Fatalismus zum Eingang– und dann schrie sein verbliebener Verstand eindringlich auf, und er machte kehrt und lief nach rechts. Er bückte sich und hob die gläserne Ampulle auf, die unter dem Operationstisch lag.
Der Impfstoff.
Komm schon, beeil dich, du Arschloch.
Er steckte das Fläschchen in die Westentasche, stützte sich wie ein Sprinter an der Startlinie mit der Hand auf dem Boden ab und schnappte sich noch ein erbsengroßes Stück von Roger Ballards schwammigem, ausgetretenem Gehirn. Das steckte er sich auch noch in die Tasche.
Als Beweis.
Roger hatte keinen Ehering– bring den Schmuck zurück, und niemand bezweifelt, dass du den Auftrag erledigt hast –, doch dafür sollte Osbourne seine gottverdammte DNA -Probe bekommen.
Das Stöhnen der Toten im Korridor hallte aus nächster Nähe wider. Sie würden nun jeden Moment auftauchen; ihre Schatten huschten schon über die Wände. Die Zeit wurde knapp. Die Leichen waren da.
» Laufen Sie«, sagte Wu eindringlich und spuckte Blut.
Marco tat wie geheißen und rannte zur Tür. Da platzte ein einäugiger Häftling herein, fletschte die Zähne und griff nach ihm; Marco duckte sich und schlüpfte unter dem Arm der Leiche hindurch. Ein eiskalter Daumen streifte seine Wange, als er stolperte und im Korridor auf den Hintern fiel. Scheiße! Leichen in Overalls blockierten den Korridor und umzingelten ihn. Er rutschte zur anderen Wand hinüber, wobei er den Kopf mit den Armen schützte, um die Tritte ihrer blutverschmierten Stiefel abzuwehren. Er sackte an der Wand zusammen und hustete. Sein plötzliches Erscheinen auf dem Gang hatte die toten Männer überrascht– der einzige Grund, weshalb er nicht schon tot war–, doch die Verwirrung würde nicht mehr lange anhalten. In wenigen Augenblicken würden sie über ihn herfallen wie ein Schwarm wahnsinniger orangefarbener Vögel, die einen Wurm vom Boden aufpickten.
Er musste etwas unternehmen.
Er trat heftig aus und rutschte dadurch nach rechts, weg von den wahnsinnigen Leichen, die den Gang entlangstolperten, und dann rollte er sich herum und warf mitten in der Bewegung noch einen letzten schnellen Blick ins Labor. Rogers geschundener Körper lag auf dem Boden– ein hässlicher Anblick–, und Wu lehnte benommen und schwach an einem Schrank. Er verfolgte Marcos unbeholfene Akrobatik mit einem belustigten Grinsen wie ein Kind im Zirkus.
Ihre Blicke trafen sich ein letztes Mal, und Marco verspürte plötzlich ein starkes Schuldgefühl. Aus irgendeinem irrationalen Grund wünschte er sich, dass er sich richtig von Wu verabschiedet und sich bei ihm bedankt hätte– so verrückt es auch schien, ihm dafür zu danken, dass er ihn
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