Return Man: Roman (German Edition)
wahrscheinlich schon verzweifelt auf seinen Anruf wartete. Die Reise nach Montana hatte länger gedauert als die meisten anderen Aufträge, und der arme Ben vermutete wahrscheinlich schon das Schlimmste– dass Marcos Knochen irgendwo auf einem namenlosen Berg in der Sonne bleichten.
Eine kurze Rückmeldung, mehr nicht, beschloss Marco. Hallo, ich bin noch gesund und munter, und Tschüss.
Im Büro fuhr er den Computer hoch und wartete auf eine Satellitenverbindung. Es dauerte manchmal mehrere Minuten, bis die Schüssel auf dem Dach ein Signal aus dem Westen empfing, doch heute hatte er Glück; er hatte sich kaum auf seinen Stuhl gesetzt, als das Fenster der Webcam sich auch schon öffnete und Benjamins Telefon im Lautsprecher klingelte.
Marco wartete. Das Telefon klingelte unaufhörlich. Eine Minute, dann zwei. Er sah auf die Uhr. Fast schon neun Uhr morgens– er war bisher immer durchgekommen, wenn er um diese Zeit angerufen hatte. Benjamin hob normalerweise sofort ab oder ließ, wenn er nicht zu Hause war, Anrufe an sein Handy weiterleiten. Ben lebte allein in Pittsburgh. Seine Frau Trish– Danielles Schwester– war während der Auferstehung gestorben. Auf schreckliche Weise. Leichen hatten Trish vor Bens Augen von einem Evac-Fahrzeug gezerrt; der hysterisch schreiende Ben musste von Evac-Soldaten zurückgehalten werden. Er war nach Pennsylvania gezogen und hatte drei Jahre lang in einem Überlebenden-Wohnheim gewohnt– staatlich subventionierte Wohnungen, die die Garrett-Regierung hatte bauen lassen, um den Zustrom arbeitsloser Evakuierter zu kanalisieren. Im letzten Frühling war Ben dann endlich in der Lage gewesen, ein eigenes Haus in einem Vorort der Stadt zu kaufen. Er hatte bar bezahlt– mit » Leichengeld«, wie Ben es genannt hatte. Einkünfte aus sechsundzwanzig Aufträgen.
Und mit Andrew Roark waren es bereits siebenundzwanzig.
Das Telefon klingelte wieder. Marco wurde allmählich nervös. Er sehnte sich nach der Zeit vor der Auferstehung zurück, als es nicht unbedingt etwas bedeuten musste, wenn jemand nicht ans Telefon ging. Heute neigte man jedoch dazu, gleich den Teufel an die Wand zu malen.
Aber vielleicht stand Benjamin auch nur gerade unter der Dusche oder war auf dem Klo.
Sicher. Oder vielleicht gab es auch einen neuen Ausbruch der Auferstehung, überlegte Marco und verspannte sich. Und jetzt ist die andere Hälfte von Amerika auch noch im Arsch.
Das Telefon klingelte noch weitere vierzehn Mal. Marco zählte mit.
Jedes Klingeln strapazierte seine Nerven etwas mehr, und er spürte, dass die Grippesymptome sich wieder verstärkten. Der Schweiß, der Druck hinter den Augen. Komm schon, Ben.
Und dann ein lautes Klicken, und Benjamin nahm ab.
Sein Gesicht erschien sofort auf dem Bildschirm: nah und mit weicher rosiger Haut. Er trug die Brille mit dem schwarzen Drahtgestell, die ihm das Aussehen eines heruntergekommenen Dichters verlieh. Ben war tatsächlich ein Künstler, ein Maler. Und er hatte sich den Kopf kahl geschoren, seit Marco ihn zum letzten Mal gesehen hatte; er fuhr sich über den mit blonden Stoppeln besetzten Schädel.
» Mein Gott, Marco«, sagte er und schüttelte den Kopf.
» Ich habe mir schon Sorgen um dich gemacht«, schimpfte Marco. Absurd, aber wahr. Und als er das sagte, wurde er sich bewusst, dass er mit den Nerven wirklich am Ende war. Er brauchte definitiv eine Auszeit.
Benjamins blaue Augen weiteten sich. » Nicht zu fassen, du hast dir Sorgen gemacht? Ach so, ich verstehe– zwei Minuten lang hattest du die Situation mal nicht unter Kontrolle. Und ich warte schon seit drei Wochen darauf, dass du dich meldest, Arschloch.«
Beide Männer verstummten, und Marco spürte, dass Benjamin sich genauso mies fühlte wie er.
» Tut mir leid«, sagte Marco. » Das war wohl eine missglückte Begrüßung.«
Benjamin zuckte die Achseln. » Schon in Ordnung, Mann– tut mir auch leid. Ich hatte nur so lange schon nichts mehr von dir gehört, das ist alles.« Er lehnte sich zurück, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und musterte Marco. » Du hast noch mehr Gewicht verloren.«
» Ja. Gut möglich.«
» Das ist nicht gut, Mann. Du solltest mal was essen.«
» Du hörst dich schon an wie meine Großmutter.«
Benjamin runzelte die Stirn. » Das ist mein Ernst, Marco. Du siehst aus wie ein Kriegsgefangener. Wie dieser Typ, den Rambo in Teil zwei, wo er Kriegsgefangene aus Vietnam rausholt, aus dem Wasserkäfig zieht.«
Marco lachte. Er und Benjamin waren gleich
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