Return Man: Roman (German Edition)
Ihre Sympathie für Mr. Ostroff reicht. Für den Fall, dass Ihnen sein Leben und/oder das Geld egal gewesen wären. Ich motiviere Sie mit einer Sache, von der ich sicher bin, dass Ihnen etwas daran liegt. Mit der Heimkehr.«
» Mir liegt durchaus etwas an Ben. Doch was das Letztere betrifft, so irren Sie sich. Das spielt für mich überhaupt keine Rolle.«
» Ich glaube schon, Doktor. Ich glaube sogar, dass es eine sehr große Rolle für Sie spielt. Sie wollen doch nicht im Ernst für immer da draußen bei den Toten bleiben. Doch ohne meine Hilfe sitzen Sie dort fest.«
Marco fröstelte in seinem feuchten Hemd. Gott verdammt, er fror. Und er war müde. Der Kopf fühlte sich kaum noch dem Körper zugehörig, als hätte der Hals als Bindeglied versagt. Er brauchte mehr Sudafed, mehr abgelaufenes beschissenes Sudafed, das wahrscheinlich eh nicht mehr wirken würde.
» Ich kann Sie wieder reinholen«, sagte Osbourne. » Sie können das alles hinter sich lassen.«
Nicht nur das Sudafed. Es funktionierte überhaupt nichts mehr. Alles hier draußen war nur noch ein einziges großes Verfallsdatum.
» Suchen Sie Roger Ballard.« Osbournes Stimme schwappte über ihn hinweg. » Suchen Sie ihn, oder Mr. Ostroff stirbt noch heute. Suchen Sie ihn und verschaffen Sie sich eine neue Zukunftsperspektive. Das ist die Wahrheit. Nicht das Angebot.«
Marco drehte sich auf dem Stuhl zum Fenster herum. Für einen Moment waren die Superstition Mountains verschwunden. Vor seinem geistigen Auge sah er stattdessen das Meer– den Atlantik, schäumende Gischt vor der Küste von Maine, einen rostigen roten Leuchtturm: der Tag, an dem er Danielle am Strand einen Heiratsantrag gemacht hatte. Er wollte einschlafen und sich an diese Dinge erinnern.
Und dann wollte er aufwachen, genauso wie Joan Roark morgen aufwachen und mit ihrem Tagewerk beginnen würde.
» In Ordnung«, sagte er. » Ich werde Roger zurückgeben.«
Zum ersten Mal lächelte Osbourne. Seine Piranhazähne strahlten in einem unnatürlichen Weiß. Marco musste beinahe lachen. Dieser Tage wollte jeder, dem er begegnete, ihn partout fressen.
Der chinesische Meuchelmörder
4 . 1
Kheng Wu– Ken, wie die amerikanisierte Version seines Namens lautete– trottete den Pfad hinauf. Er hasste die Hitze in der Wüste von Arizona. Sich selbst hasste er auch. Er hatte es zugelassen, dass er während seines einjährigen Aufenthalts in den Vereinigten Staaten abgeschlafft war. Durch das intensive Training im klimatisierten Fitnesscenter in Boston hatte er sich in trügerischer Sicherheit gewiegt, was seine Fitness betraf. Denn er hatte das vergessen– wie es war, unmittelbar den Elementen ausgesetzt zu sein. Seine Lunge glühte förmlich, und durch die sengende Sonne war er schweißgebadet. Er erging sich in sentimentalen Erinnerungen an die Märsche, die er als junger Mann beim Militär absolviert hatte. Das waren richtige Härtetests gewesen. Er hatte sich als Freiwilliger bei der chinesischen Volksarmee gemeldet: beseelt vom Wunsch, seinem Land zu dienen und Ruhm und Ehre zu erlangen– und weil er der Enge seines verarmten Heimatdorfs in Qinghai entfliehen wollte. Seine Brüder waren zu Hause geblieben und hatten die Einberufung abgewartet. Aber nicht Wu. Mit achtzehn hatte er seinem Onkel Lebewohl gesagt und sich in der Garnison Shenyang gemeldet. Dort hatte er wochenlang mit wenig Schlaf auskommen müssen, war gnadenlos gedrillt worden und hatte steile Bergpfade mit einem Fünfundzwanzig-Kilo-Rucksack erklommen, dessen Riemen ihn in die Schultern schnitten. Die LifeFitness -Laufbänder in Amerika konnten da nicht mithalten.
Heute, im Alter von achtunddreißig Jahren, biss er die Zähne zusammen und zwang sich, immer weiter den Pfad hinaufzugehen.
Zwanzig Meter hinter ihm stolperte eine kleine Gruppe von Leichen auf der Jagd nach ihm den Berg hinauf. Sechzehn tote Männer und Frauen; er zählte sie immer wieder durch, um sich zu vergewissern, dass sie auch noch alle da waren. Ihre geschwärzten Gesichter hatten Ähnlichkeit mit verkohlten Brandleichen. Sie waren ihm seit zwanzig Minuten auf den Fersen, seit er das alte Lager an der Nordseite der Superstitions verlassen hatte.
Er hatte die zerfetzten Zelte durchsucht, die schon halb im roten Erdboden versunken waren. Auf dem Parkplatz stand der Lkw der amerikanischen Armee– der Lkw, nach dem er tagelang gesucht hatte. Das chinesische Ministerium für Staatssicherheit hatte dem Geheimdienstdossier zwar GPS -Koordinaten
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