Revanche - Exposure
hatte, »rufen Sie Ben an. Wenn er nicht mitten in einer Schießerei hängt, soll er alles stehen und liegen lassen und seinen Arsch hierher bewegen. Und George. Erklären Sie ihm, dass sein freier Tag gestrichen ist. Und dann organisieren Sie eine Tasse Kaffee für Mrs. Sands, ja?«
»Wird gemacht.« Sie setzte sich in Bewegung.
Elvis wandte sich Emma zu. »Okay, und jetzt erzählen Sie mir alles«, sagte er dienstlich-kühl, worauf sie ihm darlegte, dass Gracie nach den Mahlzeiten häufig noch eine Weile im Café gespielt hatte.
Inzwischen etwas gefasster, erklärte sie ihm, dass sie nach dem Mittagessen noch einen Kaffee getrunken und Gracie irgendwo im Café vermutet habe. Als sie dann nach ihr Ausschau gehalten habe, sei ihre Tochter wie vom Erdboden verschluckt gewesen.
»Haben Sie in Ihrem Zimmer nachgeschaut?«
» Mais oui . Natürlich. Sobald wir feststellten, dass sie nicht im Café war, halfen Ruby und Bonnie mir beim Suchen. Aber Gracie war weder in der Küche noch in unserem Zimmer.« Emma schob sich die Haare straff aus dem Gesicht und starrte den Sheriff über den Schreibtisch hinweg an. »Aber selbst wenn sie gewollt hätte, wäre sie nicht ins Zimmer gekommen, Elvis. Anders als die Leute hier schließe ich immer ab. Das bin ich so gewöhnt.« Seufzend ließ sie die Hand wieder in den Schoß sinken. »Wir sind dann von Stockwerk zu Stockwerk gelaufen und haben nach ihr gerufen. Ich war auch im Hinterhof, wo ich die Autos repariert habe. Tja, so sieht’s aus.« Ihre Unterlippe begann wieder zu zittern. Sie fixierte ihn beschwörend. »Können wir nicht endlich weitersuchen?«
Vermutlich würde sie gleich wieder ausflippen, wenn er sie nicht mit irgendwelchen Aktivitäten ablenkte. Also stand er auf, nahm seine Dienstwaffe aus dem Schubfach und steckte sie in sein Holster. Packte seine Schlüssel und hielt ihr ohne groß zu überlegen seine Prothese hin. »Kommen Sie.«
Völlig unbefangen fasste sie die Prothese und ließ sich
von ihm aufhelfen. Als sie keinerlei Anstalten machte, ihn loszulassen, löste er sich sanft von ihr und schob sie zur Tür. Am Schreibtisch seiner Kollegin blieb er kurz stehen. »Ben und George sollen die Gegend um den Platz kontrollieren. Und Passanten befragen; der eine oder andere hat sie bestimmt gesehen. Mrs. Sands und ich starten unten am Wasser mit der Suche. Falls irgendetwas ist, Sandy, informieren Sie mich über Funk, okay?«
»Alles klar.« Sandy wandte sich an Emma und reichte ihr einen Pappbecher mit dampfend heißem Kaffee. »Hier, Mrs. Sands. Nehmen Sie den mit. Und machen Sie sich nicht unnötig Sorgen. Wir finden Ihre Kleine schon.«
Irrtum. Emma und Elvis gingen das Strandstück ab, wo Gracie Muscheln gesammelt hatte; sie unterhielten sich mit den Badegästen und inspizierten jeden Hafenschuppen einschließlich der Kneipe, in die eine Dreijährige ohnehin nicht hineingedurft hätte. Emma verfolgte angestrengt, wie Elvis über Funk mit seinen Kollegen kommunizierte. Fixierte die Digitaluhr auf dem Armaturenbrett, die unerbittlich die verstrichene Zeit anzeigte. Ihre Hoffnung sank mit jeder Sekunde. Eine eisige Klammer legte sich um ihr Herz. Emma schauderte. Wo war ihre Kleine?
Grundgütiger, wo war Gracie?
»Sie können jetzt Feierabend machen. Vielleicht sehen wir uns heute Abend noch beim Feuerwerk«, sagte Sam Mackey um vier Uhr zu seinen beiden Angestellten. »Ist ohnehin nichts los hier, ich mach früher dicht.«
Kurz darauf schloss er die Ladentür ab und öffnete die Kasse, um die Tageseinnahmen zu zählen.
Dabei hatte er ständig Emmas Gesicht vor Augen, als
sie völlig aufgelöst mit Elvis im Geschäft aufgetaucht war und nach ihrem kleinen Mädchen gefragt hatte. Krampfhaft um Fassung bemüht, hatte sich dennoch schiere Panik in ihren Zügen gespiegelt. Ob Gracie wohl inzwischen wieder aufgetaucht war? Er hoffte es inständig. Immerhin hatte er selbst ein Kind verloren und wusste um das qualvolle Leiden.
Port Flannery war eine ruhige, sichere Insel, da gab es keine Verbrechen, wie sie in den Ballungsgebieten von Psychopathen begangen wurden. Dafür aber reichlich Drogen- und Alkoholgeschichten. Bisweilen beschlich ihn sogar der Verdacht, dass sich derartige Exzesse auf ihrer kleinen Insel zunehmend häuften, vor allem unter den jüngeren Leuten. Zumal ihnen außer gelegentlichen Kino-Highlights und den obligatorischen Tanz- und Bingoabenden nichts Nennenswertes an Unterhaltung geboten wurde. Gar nicht so abwegig, dass die jungen
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