Revelations
Cassidy vorsorglich davor, nicht direkt in die Flammen zu sehen.
In der unteren Etage herrschte gerade Hochbetrieb. Ein vollautomatischer Laderoboter, der aussah wie ein Gabelstapler ohne Führerhaus, transportierte schwer aussehende Maschinenteile quer durch die Biosphäre. Ein etwas kleinerer Roboter schien ihm eine Weile wie seinem großen Bruder zu folgen und beförderte Plastikkisten mit frisch geernteten Gurken und Paprikas in die nördlich gelegene Küche, aus der ein verführerischer Duft kam, der Cassidy sofort das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ. Jiao führte sie an dem geöffneten Stahlschott vorbei in den danebenliegenden Speisesaal, wo sich die Anwesenden bei ihrem Anblick prompt aufrecht hinsetzten. Sie zwinkerte den Männern im Vorbeigehen zu und lehnte sich über das glänzend polierte Fensterbrett der Essensausgabe in die gegenüberliegende Küche hinein.
»Maxwell?«
»Das Mittagessen ist noch nicht fertig!«, rief der Koch gereizt aus Richtung des Herds. Dabei fiel Cassidy auf, dass der Mann äußerst klein geraten war. Genauer gesagt erinnerte er sie an die Zwerge aus ihren Märchenbüchern, denn er musste sich auf einen Hocker stellen, um überhaupt in die Töpfe schauen zu können.
»Sind ein paar Sandwiches vom Frühstück übriggeblieben?«
Der Mann stieg routiniert von seinem Stuhl und ging auf einen silbergrau gebürsteten Kühlschrank zu, der wie die Kiste in Jiaos Quartier aussah. Nachdem er die beiden Türen geöffnet hatte, konnte Cassidy den Teller mit den Resten im obersten Fach sehen. Am liebsten wäre sie dem kleinwüchsigen Koch zu Hilfe gekommen, damit er nicht extra für sie seinen Hocker holen musste. Sie staunte nicht schlecht, als sich aus den Türen je drei Stufen ausklappten, die dem Zwerg bequemen Zugang zu allen Etagen gewährten. Wie selbstverständlich holte er das Tablett heraus, fuhr die Treppchen wieder ein und stellte die halbierten Doppelstullen auf das Fensterbrett zum Speisesaal.
»Danke!«, rief ihm Jiao hinterher, während Maxwell bereits winkend zu seinem Herd zurückkehrte. Sie schnappte sich ein Weichkäsesandwich und nahm anschließend den Teller mit zu einem freien Tisch.
»Guten Appetit!«, murmelte sie mit vollem Mund. Das ließ Cassidy sich nicht zweimal sagen, zumal sie nach den Strapazen der letzten Tage wirklich ausgehungert war. Kaum hatte sie sich umgedreht, erstarrte sie jedoch vor Erstaunen.
Die Wand gegenüber der Essensausgabe bestand aus einem riesigen Aquarium, das vom Boden durch die Decke bis in die obere Etage hineinreichte. Aus dem feinen Sandboden wuchsen grüne Algen und farbenfrohe Korallen, in denen unzählige Fische umherschwammen. Die kleineren zeigten Farbfacetten, die Cassidy noch nie in ihrem Leben zu Gesicht bekommen hatte, andere glänzten silbrig und waren so groß, dass sie offenbar zum Verzehr gezüchtet wurden. Zwei handtellergroße Tauchroboter klebten an der Fensterscheibe und rutschten gleichmäßig daran entlang, um sie zu säubern. Ein paar Wasserschnecken folgten den künstlichen Artgenossen und schienen deren Arbeit aufmerksam zu kontrollieren.
»Nun erzähl mal«, nuschelte Jiao und drängte Cassidy gleichzeitig beherzt an einen der Tische. »Was macht ihr hier?«
»Krieg ... Süden ... Sicarii ...«, brachte Cassidy hervor, ohne ihren Blick während des Essens von dem Aquarium zu nehmen.
»Wie habt ihr euch denn geschlagen?«
Mit so einer Frage hatte Cassidy nicht gerechnet. Normalerweise wollten die Leute etwas von den Opfern wissen, schimpften über die barbarischen Gangs oder vermieden das Thema vollkommen. Noch nie hatte jemand so beinahe gleichgültig reagiert. Sie schluckte ihren Bissen herunter und schilderte ernst die Geschehnisse der vergangenen Wochen, beginnend bei der verfluchten Militärbasis. Jiao hielt sich äußerst bedeckt, als sie von den blutrünstigen Killerbestien erzählte, lachte aber amüsiert, als Cassidy den funkenschlagenden Zauberkasten erwähnte, in dem sie ihre Spaghettidose erwärmt hatte. Die Schlachten um Eagle Village und Silver Valley kommentierte sie mit anerkennendem Nicken, ebenso wie Cassidys Gefangenschaft, während der sich das Mädchen nicht hatte unterkriegen lassen. Der romantisch angehauchte Zusammenschluss von Rangern und Vultures ließ Jiao erröten und verlegen mit den Augen rollen. Bei der Rettungsaktion in Brackwood, nach der Jade ihnen den Weg gewiesen hatte, wurde sie wieder ernst. Die Details über Faith verschwieg Cassidy vorerst.
»Jade ...«,
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